ACHTUNG! Leseprobe enthält Spoiler zu Vorgängerbänden !
Verantwortung
Aurica saß wie vom Donner gerührt und starrte den Hörer des Telefons an, den sie noch immer in der Hand hielt, aus dem aber seit geraumer Zeit nur noch ein Tuten erklang.
Erst als Sharai ungeduldig vor ihrem Gesicht herumwedelte, löste sie sich aus ihrer Erstarrung und stellte das tutende Etwas zurück auf die Station.
»… passiert?«, hörte sie gerade noch.
»Was ist passiert?«, schreckte Aurica alarmiert hoch.
Sharai schnaubte und pustete sich eine blaue Strähne aus den Augen. »Gar nichts. Ich habe dich gefragt, ob etwas passiert ist, weil du den Hörer regelrecht hypnotisiert hast und null ansprechbar warst.«
Gott sei Dank. Ein weiteres Problem hätte ich jetzt nicht überlebt.
»Wie man’s nimmt. Das war die Generaldirektion Kulturelles Erbe des Landes Rheinland-Pfalz. Die sind für das Museum hier zuständig. Eigentlich wollten sie mit Madame Lafour sprechen, die seit einer Woche verschwunden ist.«
»Joah. Das wird schwierig. Aber hey, sie hätte halt nicht versuchen sollen, uns das Avido Optatum zu klauen. Oder gleich sterben müssen, nur weil Raoul ihr deswegen das Herz aus der Brust gerissen hat. Manche Leute sind aber auch empfindlich«, ergänzte Sharai achselzuckend. Trotzdem war sie eine Schattierung blasser um die Nase geworden.
»Genau. Aber das konnte ich ihnen ja schlecht sagen. Wenn ich es richtig verstanden habe, wollte Madame Lafour sich noch am selben Tag mit ihnen treffen, ist aber zu dem Termin nicht erschienen. Wie auch. Nun ja, seither versucht die Generaldirektion, sie zu erreichen. Doch inzwischen wissen sie von der Vermisstenmeldung.«
»Erinnere mich nicht daran.« Die kleine Gestaltwandlerin verzog das Gesicht. »Ich weiß bis heute nicht, wie ich es geschafft habe, der Polizei überzeugend vorzuspielen, dass ich sie schon länger nicht gesehen habe.«
»Geht mir genauso.« Aurica seufzte, und bei der Erinnerung lief ihr ein Schauer den Rücken hinab. »Wahrscheinlich hat das auch nur geklappt, weil sie von uns eh keine brauchbaren Infos erwartet haben. Und dass unsere Chefin öfter für längere Zeit kommentarlos verschwunden ist, entsprach ja immerhin der Wahrheit.«
»Zum Glück. Daran hab ich mich auch ganz fest geklammert, sonst wäre es mir im Leben nicht gelungen, die Polizei zu belügen.«
»Nicht nur dir.«
»Denken wir lieber nicht mehr dran.« Sharai wedelte mit einer Hand durch die Luft, als könne sie auf die Art die Erinnerung vertreiben. »Aber weshalb hast du vorhin den Telefonhörer angestarrt, als würde jeden Moment eine Schlange herauskriechen?«
»Richtig. Das Telefon.« Aurica musste sich kurz sammeln. »Die Leute von der Generaldirektion Kulturelles Erbe sind jedenfalls ziemlich nervös, wegen der Museumseröffnung in vier Tagen …«
»Womit sie nicht allein sind«, unterbrach Sharai. »Keinen Plan, ob die nun stattfindet oder nicht.«
»Aber ich. Seit eben«, ächzte Aurica. »Die Ministerpräsidentin will zur Eröffnung kommen – beziehungsweise diese durchführen, wie auch immer. Deshalb bestehen sie auf die Einhaltung des Ablaufplans. Und da Madame Lafour nicht greifbar ist, haben sie mir kurzerhand ihre Aufgaben übertragen und mich als kommissarische Vertreterin bestellt.«
Sharais Kinnlade klappte nach unten.
»Oh, Shit«, ergänzte sie, als sie sich wieder gefangen hatte.
»Das trifft es gut.« Aurica warf dem Telefon einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Aber die können dir doch nicht einfach so die Verantwortung aufhalsen!«
»Ist ja nur vorübergehend. Zumindest ihrer Aussage nach. Und natürlich hafte ich für nichts, da ich ja nicht offiziell die Direktorin bin. Aber …« Sie hob hilflos die Hände.
»… irgendwie bist du trotzdem am Arsch, wenn die Eröffnung in die Binsen geht«, vollendete Sharai ihren Satz.
»Wahrscheinlich schon.«
»Aber warum ausgerechnet du?«
»Keine Ahnung. Angeblich gibt es sonst niemanden.«
»Was ist mit Barbara aus der Verwaltung?«
»Die macht nur die Buchhaltung und die Gehälter und war nicht in die Planung eingebunden.«
»Und Attila? Der weiß doch über die Abläufe Bescheid.«
»Ja. Doch als Sicherheitschef gehört er einem anderen Bereich an.«
»Daniel?«
»Ist offiziell Hausmeister.«
»Aber Raoul! HA! Unser ach so toller Marketingberater war von Beginn an in das Projekt involviert. Eigentlich macht er nichts anderes, im Gegensatz zu dir.« Sharai, die ohnehin kein Fan von Raoul war, redete sich in Rage. »Du bist für die Sammlungen verantwortlich. Aber er wurde eigens für die Entwicklung und Organisation der Eröffnung engagiert!«
»Lediglich für die Entwicklung. Und wie du selbst sagst: Raoul ist engagiert, ein Externer.« Aurica seufzte. »Die Organisation hatte Madame Lafour mir aufs Auge gedrückt. Dafür habe ich noch etliches zu tun. Eigentlich wäre das kein Problem, ich habe mir einen genauen Plan gemacht und wäre zeitlich perfekt hingekommen. Aber logischerweise umfasst mein Plan nicht Madame Lafours Aufgaben. Zumal ich nicht die Spur einer Ahnung habe, welche das überhaupt sein sollen. Aber laut Generaldirektion habe ich jetzt plötzlich die Verantwortung dafür und soll unsere Chefin offiziell vertreten!«
»Oh, Shit.«
»Das trifft es. Und ich weiß nicht, wie ich aus der Nummer rauskommen soll. Außer zu kündigen, und das wollte ich eigentlich nicht.«
»Das wäre ja auch ziemlich dämlich!«, brauste Sharai auf. »Genaugenommen ist das eine Riesenchance für dich! Hör zu, gemeinsam rocken wir die Kiste. Wir arbeiten ja schon eine ganze Weile auf die Eröffnung hin und wissen, was zu tun ist. Ich habe demnächst etwas Luft und kann dir Aufgaben abnehmen. Attila hilft auch gern, und Daniel drücken wir ebenfalls ein bisschen was aufs Auge. Dann hast du genug Zeit herauszufinden, was Madame Lafour noch gemacht hätte. Viel kann es nicht gewesen sein, sie war ja eh nie da! Bei der Eröffnung hätte sie dann ein wenig rumrepräsentiert, eine Rede gehalten, ein paar Hände geschüttelt und in die Kamera gegrinst.«
»Sie hätte die Verantwortung getragen«, wagte Aurica vorsichtig einzuwenden, doch Sharai war viel zu sehr in ihrem Element.
»Ja und? Von der hat man dich offiziell entbunden. Okay, zugegeben wäre es doof, wenn du das versemmelst, aber wir sorgen schon dafür, dass alles läuft! Am Ende kannst du massig Lob und Ehre einheimsen. Du musst doch nur Shakehands mit der Ministerpräsidentin und irgendwelchen Generälen und Erben von dieser Kulturdirektion machen …«
»Generaldirektion Kulturelles Erbe«, korrigierte Aurica. »Es kommen weder Generäle noch Erben und …«
»Egal. Irgendjemand mit Händen zum Schütteln wird schon da sein. Und in die Kameras zu grinsen, kriegst du auch locker hin. Die Rede soll dann eben Raoul halten, dafür wird er schließlich bezahlt. Von mir aus kann das auch so ein Kulturgeneral, Kulturerbe oder irgendeiner von der Stadt übernehmen. Die machen doch eh den ganzen Tag nichts anderes.«
Aurica ließ stöhnend ihren Kopf in die Hände sinken. »Du stellst dir das alles so einfach vor.«
»He, es ist einfach.« Sharai wuselte um den Tisch herum und legte ihr einen Arm um die Schultern. »Ganz im Ernst. Was soll denn passieren? Wir beschäftigen uns seit Wochen mit der Eröffnung. Wahrscheinlich kennen wir die Abläufe besser als Madame Lafour. Wenn’s schief gegangen wäre, hätten die Offiziellen zwar ganz offiziell ihr den Kopf abgerissen, aber sie dir danach deinen. Und uns unsere gleich mit. Keine Sorge, wir, und damit meine ich alle, ja, sogar Raoul, lassen dich nicht hängen. Wir rocken die Party gemeinsam. Und wenn doch was schiefläuft, sollen die Faune eben irgendwelche Glückspollen über die Blumen in der Luft verteilen. Spätestens dann werden sämtliche Anwesenden das Event für die gelungenste Eröffnung aller Zeiten halten!«
Aurica musste wider Willen lachen. »An die Möglichkeit habe ich gar nicht gedacht. Aber wahrscheinlich hast du recht, und ich mache mir einen zu großen Kopf um die Sache. Ich bin nur in Panik geraten, als die mich so überfallmäßig zur Stellvertreterin berufen haben. Wie du schon sagst: Wir wissen, was zu tun ist. Und was Madame Lafours Part betrifft, werde ich einfach bei der Generaldirektion anrufen und fragen, was man nun genau von mir erwartet. Da ich äußerst überraschend und unvorbereitet in diese Aufgabe hineingerutscht bin, sollte damit eigentlich niemand ein Problem haben. Außerdem habe ich ja noch euch.« Sie lächelte Sharai dankbar an. »Es gibt zwar noch eine Menge zu tun, aber das wäre mit Madame Lafour ja auch nicht anders.«
»Vielleicht kommen wir ohne sie sogar schneller voran.«
»Sharai!«
Die kleine Wandlerin hob entschuldigend die Hände und guckte betont unschuldig. »Ich meine ja nur.«
Aurica unterdrückte ein Schmunzeln, wurde aber direkt wieder ernst. »Ach, verdammt.« Ein unangenehmer Gedanke dämpfte ihre sich gerade bessernde Laune.
»Was ist?«
»Da ist ja noch dieser Azon... Azotok... Ato... ach, dieser Dämon, wie auch immer er heißt.«
»Welcher … Oh. Der versehentlich frei Haus geliefert wurde, als ihr den Zauber gewirkt habt, um diesen Hexer ins Schloss der Schatten zu locken? Den hatte ich ja ganz verdrängt. Aber der ist doch gar nicht mehr da. Immerhin hat Raoul ihn mit dem Avido Optatum auf unbestimmte Zeit weggewünscht.«
»Mag sein, aber wie du schon sagst: auf unbestimmte Zeit. Das heißt, er könnte jederzeit wieder auftauchen. Nenn mich pessimistisch, doch für gewöhnlich passiert sowas immer dann, wenn man es am wenigsten gebrauchen kann.«
»Das gäbe aber ein ziemlich cooles Pressefoto. Du schüttelst unserer Ministerpräsidentin die Hand und hinter euch ein 2,30 Meter großer, blauhaariger Dämon mit Hörnern und wutverzerrtem Gesicht. Unser Museum wäre schlagartig berühmt, und wir könnten uns vor Besuchern nicht mehr retten!«
»Ja, an sowas in der Art habe ich gedacht. Allerdings weniger an den Werbeeffekt, sondern mehr an das Massaker, das dieser Kerl unmittelbar nach seinem pressewirksamen Auftritt anrichten würde.«
»Das hätte auch einen Werbeeffekt.«
Aurica ließ den Kopf stöhnend in ihre Hände sinken.
»Hey, jetzt geh doch nicht gleich vom Schlimmsten aus«, versuchte Sharai sie zu beruhigen. »Wieso sollte er ausgerechnet an dem Tag auftauchen? Immerhin ist er seit gut einer Woche nicht mehr erschienen, vielleicht war das Avido Optatum ja noch mächtig genug, ihn wenigstens bis nach der Eröffnung wegzuwünschen. Oder für immer.«
»Dein Wort in Gottes Ohr, aber du vergisst, dass dafür die letzten Reserven des Wunschsteins aufgebraucht worden sind, wodurch seine Macht gebrochen wurde. Also für immer werden wir den Dämon wohl kaum los sein. Irgendwas sagt mir, dass er uns nicht bis nach der Eröffnung Zeit lassen wird.«
Für einen Moment sah es aus, als wollte Sharai protestieren, doch dann nickte sie bloß. »Ja, vielleicht sollten wir wirklich besser jederzeit mit ihm rechnen. Apropos Magie: Wie sieht’s mit deinen eigenen Kräften aus? Bist du fit genug, es mit einem mächtigen Dämon aufzunehmen, wenn er hier überraschend auftaucht?« Die kleine Wandlerin ging in Kampfpose, ballte die Fäuste und fuchtelte damit in der Luft herum, während sie auf Zehenspitzen vor und zurück federte wie eine wildgewordene Tätowiernadel.
Der Anblick brachte Aurica zum Lachen. »Schön wär’s! Dank des Avido Optatums habe ich meine Kräfte zwar zurück und beherrsche sie auch einigermaßen, aber es gibt noch so viel zu lernen! Zum Beispiel, welche Zutaten man für welche Zauber braucht, wie was wirkt und wie sie zusammenwirken. Das ist so kompliziert, dass ich gar nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Ich war fast jeden Abend bei Benita, und sie macht das wirklich toll. Aber ich habe das Gefühl, je mehr ich lerne, desto weniger weiß ich.«
»Ich weiß, dass ich nichts weiß«, erklärte Sharai philosophisch. »Hat doch mal so ein schlauer Mensch gesagt. Einstein oder Freud, keine Ahnung. Im Zweifel Goethe.«
»Fast. Sokrates.«
»Genau. Und der war ziemlich schlau. Du bist im Moment also auf dem gleichen Level wie Sokrates. Dementsprechend stehen die Chancen gut, in die Hall of Fame der größten Berühmtheiten aufgenommen zu werden.«
»Na, wenn geballtes Nichtwissen auch zählt, bin ich bereits Ehrenmitglied.«
»Ach komm, das wird schon. Der Hexenkram ist sicher pervers kompliziert, und es gibt unendlich viel zu lernen, aber du wirst da schon noch durchsteigen.«
Aurica ließ mit einem resignierten Schnaufen die Hände auf die Tischplatte fallen. Irgendwie würde es machbar sein, andere schafften das schließlich auch. Aber im Moment hatte sie einfach das Gefühl, vor einem ebenso riesigen wie unüberwindbaren Berg zu stehen, der obendrein komplett mit einem undurchdringlichen Urwald bewachsen war.
»Konnte Benita inzwischen eigentlich herausfinden, was dieses Compendium de rektum poetry ist, das in dem einen Grimoire erwähnt wurde?«, unterbrach Sharai Auricas Gedanken.
»Was für ein Ding?« Aurica starrte sie irritiert an.
»Na, dieses Buch oder was auch immer, in dem womöglich steht, wie man das Stück von Mathildas Seele, Daniels Lebensglück und den Teil von Raouls Menschlichkeit wieder aus dem Avido Optatum herausbekommt. Na, die drei Opfer halt, die zur Erschaffung des Wunschsteins nötig waren und noch immer darin stecken, falls du dich erinnerst.«
»Wie könnte ich das vergessen«, schnaubte Aurica und fügte belustigt hinzu: »Wie hast du das gerade genannt?«
»Compendium de rektum poetry – und ich höre schon an deinem Tonfall, dass das nicht ganz richtig war.«
»Wie man’s nimmt. Benita hat aus dem Gekritzel in dem Grimoire Compendium de rerum potiri – interitus potentiarum quoque entziffert, aber niemand weiß, ob das richtig ist. Vielleicht stimmt deine Version ja doch. Mir gefällt sie jedenfalls viel besser.«
»Mir auch.« Sharai rieb sich vergnügt die Hände. »Kann man sich auf jeden Fall leichter merken. Die Übersetzung für Nicht-Lateiner wäre somit Handbuch der Arsch-Poesie. Ja, ja, nichts zu danken, in Sprachen war ich schon immer ein Ass.« Sie grinste Aurica frech an. »Aber wir sind vom Thema abgekommen. Was hatte ich jetzt eigentlich wissen wollen?«
»Ob Benita irgendwas über das Handbuch der Arsch-Poesie herausgefunden hat.«
»HA! Genau. Und? Hat sie?«
»Noch viel besser: Sie bekommt es heute höchstwahrscheinlich! Gut möglich, dass sie es sogar schon hat. Ich fahre nach der Arbeit wieder zu ihr. Eigentlich wollten wir uns weiter mit der Erschaffung von Schutzamuletten befassen, aber in dem Fall könnte ich mir vorstellen, dass wir das Programm spontan ändern.«
»Sie kriegt es sogar?« Sharai riss verblüfft die Augen auf und ließ die pinkfarbene Strähne los, die sie zwischen den Fingern gezwirbelt hatte. »Wie genial ist das denn? Vielleicht sind dann schon morgen Glück, Seele und Menschlichkeit aus dem Stein befreit und Mathilda, Daniel und Raoul wieder normal. Wobei, Mathilda hat eh keinen Unterschied gemerkt, und bei Raoul merke ich keinen. Er ist der gleiche Arsch wie immer. Von wegen, er kämpft angeblich sooo sehr gegen den Verlust seiner Menschlichkeit an.« Sharai schnaubte verächtlich. »Nur Daniel ist echt eine arme Sau. Es muss schrecklich sein, so völlig ohne die Fähigkeit, Glück zu empfinden und alles, was auch nur entfernt damit zu tun hat.« Beschämt schlug sie sich die Hand vor den Mund. »Tut mir leid, ich wollte die Sprache nicht auf den, der nicht genannt werden darf, bringen.«
Doch Aurica winkte nur ab. »Kein Problem. Dem, der nicht genannt werden darf, begegne ich ohnehin jeden Tag bei der Arbeit. Und ich komme gut damit klar.«
Das stimmte zwar nur bedingt, denn es tat noch immer weh, Daniel zu sehen. Sogar mehr, als sie es sich selbst eingestehen wollte. Aber sowohl die Vorbereitungen für die Eröffnung des Museums, als auch die Entwicklung ihrer neuen Hexenkräfte forderten derzeit ihre ganze Aufmerksamkeit. Da blieb wenig Zeit für Liebeskummer. Außerdem hatte er sie ziemlich übel abserviert. Natürlich hatte er behauptet, dass er das nur zu ihrem Besten getan hätte, da er sie mangels der Fähigkeit, Glück empfinden zu können, ohnehin nicht mehr lieben konnte. Das mochte ja alles sein. Und vielleicht hatte Daniel langfristig sogar recht damit. Aber ein wenig länger hätte er schon um ihre Liebe kämpfen können. Und vor allem hätte er Aurica nicht auf diese Art demütigen müssen.
Erst als sie Sharais Arm um ihre Schultern spürte, merkte Aurica, dass ihr ungewollt nun doch wieder Tränen in den Augen standen.
»Tut mir leid«, erklärte die kleine Wandlerin zerknirscht. »Ich wollte dich nicht traurig machen. Aber ich glaube fest daran, dass ihr wieder zusammenkommt, wenn dieses ganze Theater vorbei ist.«
Aurica setzte die Brille ab, wischte sich entschlossen über die Augen und putzte sich die Nase. »Ach, schon gut, du kannst ja nichts dafür. Nur lass mich zwei Dinge klarstellen. Erstens: Ich will ihn nicht mehr zurück. Nie mehr. Die Art und Weise, wie er Schluss gemacht hat, war dermaßen unter aller Sau, das verzeihe ich ihm nie.« Energisch setzte sie ihre Brille wieder auf. »Und zweitens: Ich fürchte, dass sich das ganze Theater nicht eben mal so einfach lösen lässt. Es heißt nicht ohne Grund, dass die drei Opfer nach der Erschaffung eines Avido Optatums unwiederbringlich mit ihm verschmelzen. Und das ändert sich auch nicht, wenn es seine Macht verliert, denn sie sind der Preis für die Erfüllung der vorangegangenen Wünsche. Magie macht nichts umsonst. Man sollte da vorsichtig sein.«
»Aber was ist dann mit diesem Compendium?«, wollte Sharai wissen.
»Es bietet eventuell, vielleicht, unter Umständen eine Spur. Mit Betonung auf eventuell, vielleicht und unter Umständen. Allerdings ist es alles andere als eine sichere Sache. Und selbst wenn es wider Erwarten doch eine Lösung bieten sollte, heißt das noch lange nicht, dass man auch den Preis dafür bezahlen kann. Oder will.«
»Hm.« Sharai kaute auf ihrer Unterlippe. »Also könnte es letztendlich sein, dass das tolle Handbuch der Arsch-Poesie doch nur für’n Arsch ist.«
»So sieht’s aus. Versteh mich bitte nicht falsch, ich wäre die Letzte, die sich dagegen sträuben würde, die drei Opfer aus dem Wunschstein zu lösen. Ich würde es Raoul von Herzen gönnen, dass Mathilda sich wieder an ihn erinnert, sobald ihre Seele vollständig ist. Abgesehen davon kann ich mir nicht vorstellen, dass es gesund ist, wenn ein Teil der Seele fehlt. Auch wenn Mathilda selbst nichts davon zu spüren scheint. Außerdem wäre es fatal, wenn Raoul den Kampf gegen seinen Dämon verliert, weil seine verbliebene Menschlichkeit nicht ausreicht. Und nein, nicht einmal Daniel wünsche ich seinen jetzigen Zustand. Nie wieder Glück oder Freude empfinden zu können – ich will mir gar nicht vorstellen, wie man sich damit fühlt. Egal, was er getan hat – und ich finde es durchaus gerecht, dass er dafür eine Weile leidet – aber keine ganze Ewigkeit. So etwas verdient niemand.«
»Du bist einfach zu gut für diese Welt. Vermutlich wäre ich an deiner Stelle rachsüchtiger. Auch wenn ich mir trotzdem wünsche, dass ihr wieder zusammenkommt. Außerdem glaube ich fest dran, dass sich eine Lösung findet. Und du kannst dich sträuben, wie du willst: Ich bin davon überzeugt, dass du Daniel zurücknimmst, wenn er wieder der Alte ist.«
»Vergiss es.«
Ein breites, schelmisches Grinsen erschien auf Sharais Gesicht. »Nö.«
Ein wenig abgehetzt klingelte Aurica am frühen Abend an der Tür von Benitas gemütlichem Häuschen. Sie war ziemlich müde nach dem ereignisreichen Tag. Dank ihrer Magie hatten Sharai und sie zwar viele der anfallenden Aufgaben für die Museumseröffnung deutlich schneller als normal erledigen können, aber es stand trotzdem noch eine Menge an. Abgesehen davon zehrte die dauernde Zauberei ordentlich an Auricas Kräften. Sie brauchte dringend eine Pause – und Benita brauchte sicher auch mal eine Pause von ihr. In letzter Zeit hatten sie oft zusammengesessen. Dabei hatte sie wahnsinnig viel Neues gelernt. Allerdings fühlte sie sich deswegen inzwischen langsam, aber sicher nicht mehr aufnahmefähig. Leider war die Sache mit dem Compendium zu wichtig. Sollte es wirklich eine brauchbare Spur enthalten, mussten sie dieser unbedingt nachgehen.
»Wie schön, da bist du ja!«, strahlte die alte Gestaltwandlerin Aurica an, kaum dass sie die Tür geöffnet hatte. »Komm rein.«
»Es tut mir leid, ich bin ein bisschen spät«, entschuldigte sich Aurica, während sie Benita in das behagliche Innere des Häuschens folgte. »Außerdem habe ich langsam ein schlechtes Gewissen, dass ich dich wegen meines Gezaubers dauernd mit Beschlag belege.«
»Ach was. Ich genieße es, mich endlich wieder mit der Magie beschäftigen zu können! Erst durch dich ist mir bewusst geworden, wie sehr sie mir all die Jahre gefehlt hat. Offenbar wollte ich mir das vorher nicht eingestehen. Setz dich.« Sie deutete Richtung Esstisch und verschwand in der Küche.
Aurica leistete der Aufforderung Folge und ließ den Blick schweifen. Sie mochte den behaglichen Landhausstil mit den hellen Möbeln.
»Ich mache dir ein bisschen von der Lasagne warm. Du bist bestimmt hungrig.« Benitas wollig anmutender weißer Schopf erschien kurz in der Tür und verschwand gleich darauf wieder.
»Ja, sehr gern, vielen Dank.« Aurica hatte es aufgegeben, sich gegen Benitas Bemutterungsattacken zu sträuben. Es war ohnehin sinnlos. Davon einmal abgesehen wusste sie es viel zu sehr zu schätzen. Die alte Wandlerin kochte nicht nur gern, sondern auch göttlich gut, und da Aurica meist direkt nach der Arbeit zu ihr ging, schaffte sie es nicht, vorher noch etwas zu essen. Trotz allem plagte sie deswegen das schlechte Gewissen, doch sie würde sich bei Gelegenheit revanchieren.
Sie hörte das Klappern von Geschirr und musste schmunzeln, als sie kurz darauf das Aufwallen von Magie spürte. Eine Hexe brauchte keine Mikrowelle.
»Kann ich dir helfen?«, fragte Aurica wider besseres Wissen, aber durch ihre Erziehung sah sie sich dazu genötigt.
»Hätte ich dir dann gesagt, dass du dich setzen sollst?«, entgegnete Benita und balancierte ein Tablett mit zwei dampfenden Tellern, zwei Gläsern und einem Krug, gefüllt mit einer ihrer legendären Limonadenkreationen, aus der Küche.
»Mmmh, wie das duftet!« Aurica lief das Wasser im Mund zusammen. »Was für eine Limo hast du denn diesmal kreiert?«
»Himbeer-Lavendel-Limette«, antwortete Benita, während sie Teller, Gläser und Besteck verteilte.
»Oh, lecker!« Aurica griff nach dem Krug und füllte die Gläser.
Sie stießen an. Wie zu erwarten schmeckten sowohl die Limonade als auch die Lasagne fantastisch, und Aurica spürte, wie die Erschöpfung von ihr abfiel.
»Sag mal, wie lange ist es eigentlich her, dass du deine Kräfte an diesen Dämon abgegeben hast?«, erkundigte sie sich zwischen zwei Bissen.
»Ziemlich genau siebenundzwanzig Jahre. Er heißt übrigens Azothanok, falls du dir den Namen nicht merken konntest.«
»Erwischt.« Aurica grinste ertappt.
»Mach dir nichts draus, Dämonennamen sind gern mal schwierig. Wobei der sogar noch geht.«
»Hast du eine Ahnung, wann Azothanok wieder auftauchen wird?«
»Nein, nicht die geringste. Allerdings wird er Ersatz für meine Kräfte fordern. Schließlich gehören sie rechtmäßig ihm.«
»Wieso Ersatz?«, wunderte sich Aurica.
»Magische Kräfte kann man nur einmal vom ursprünglichen Besitzer trennen. Ein weiteres Mal geht es nicht. Trotzdem habe ich sicherheitshalber mein Haus mit sämtlichen Schutzzaubern gegen Dämonen belegt. Leider funktioniert das wegen der Größe beim Schloss der Schatten nicht.«
»Was ist damals eigentlich passiert? Warum hast du ihm deine Kräfte überlassen?« Aurica hielt peinlich berührt inne. »Ähm, ich hoffe, ich bin nicht zu indiskret. Wenn du nicht antworten willst, dann …«
»Nein, das ist in Ordnung. Die Sache liegt ja schon sehr lange zurück.« Benita legte ihr Besteck beiseite und sammelte sich kurz. »Meine Tochter hatte einen schweren Autounfall und lag bereits seit einer ganzen Weile im Koma. Die Ärzte hatten nur wenig Hoffnung, dass sie jemals wieder daraus erwachen würde. Auch ich hatte alles Erdenkliche versucht, doch meine Magie war in diesem Fall machtlos. Irgendwann stand die Frage im Raum, ob die Geräte abgeschaltet werden sollten.« Die alte Wandlerin atmete tief durch. »Eine furchtbare Entscheidung. Sowohl sie abzuschalten als auch sie weiterlaufen zu lassen, ohne jegliche Gewissheit, dass meine Tochter zu mir zurückkehren würde. Natürlich wollte ich sie nicht verlieren, aber genauso wenig wollte ich sie dazu verdammen, für den Rest ihres Lebens an dieses Bett und diese unsäglichen Geräte gefesselt zu sein, wenn es in Wahrheit keine Hoffnung mehr gab. Was richtig und was falsch war, wusste ich nicht, dementsprechend verzweifelt war ich.«
Aurica hatte in der Zwischenzeit mit dem Essen aufgehört und hörte Benita sprachlos zu. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass eine solch dramatische Geschichte dahinterstecken würde!
»Zu jenem Zeitpunkt war ich mir sicher, sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben, als sich eines Tages ein neuer Weg offenbarte«, fuhr Benita fort. »Ich erfuhr von einer Dämonenart, die Kontakt zu Seelen aufnehmen kann. An sich war mir dieses Wissen nicht neu. Ich hatte schon von Menschen und Wesen gehört, die mit Toten sprechen können, sofern diese noch nicht allzu lange verstorben waren. Das Besondere an dieser Dämonenart war jedoch, dass sie auch mit Menschen kommunizieren konnte, die sich in einer Art Zwischenstadium befanden. Dass es nun doch jemanden gab, der in Kontakt mit der Seele meiner im Koma liegenden Tochter treten konnte, erschien mir wie ein Lichtstreif am Horizont, weshalb ich den Handel mit Azothanok eingegangen bin.« Benita trank abwesend einen Schluck und verfiel in Schweigen.
Aurica hatte eine Menge Fragen, spürte aber, dass die alte Wandlerin gerade ihren eigenen Gedanken nachhing und einen Moment brauchte. Hätte sie gewusst, welch dramatische Geschichte sie mit ihrer Neugier hervorzerren würde, hätte sie geschwiegen und keine alten Wunden aufgerissen.
Schließlich fuhr Benita von sich aus fort. »Allerdings macht ein Dämon nichts ohne Gegenleistung, doch für meine Tochter hätte ich alles getan. Ich bat ihn, mit Cecilias Seele zu sprechen und sie zu überzeugen, zu mir zurückzukehren. Dafür hat er meine Zauberkräfte verlangt. Ein geringer Preis für das, was ich gewinnen konnte – der Ansicht bin ich übrigens heute noch – daher willigte ich, ohne zu zögern, ein.«
»Hat es funktioniert?«, erkundigte Aurica sich vorsichtig.
»Ja, hat es. Und ich würde jederzeit wieder so entscheiden. Auch wenn es letztendlich nichts genutzt hat, denn das Schicksal lässt sich nicht überlisten.«
Auricas Hals schnürte sich zu. »Hat Azothanok denn nicht Wort gehalten?«
»Doch. Dämonen tricksen zwar gern und sind mit Vorsicht zu genießen. Aber ein Handel mit ihnen ist bindend. An Azothanok lag es nicht. Seinen Teil hat er erfüllt. Er hat Cecilia tatsächlich überzeugt, in dieses Leben zurückzukommen. Allerdings verriet er mir auch, dass sie ihm gesagt habe, dass ihre Zeit in dieser Welt eigentlich abgelaufen sei. Aufgrund meiner Bitte hat sie sich jedoch entschieden, ins Leben zurückzukehren.« Benitas Augen wurden feucht, und Aurica legte ihr tröstend einen Arm um die Schultern.
»Was ist passiert?«, fragte sie mitfühlend.
»Ich sagte ja: Das Schicksal lässt sich nicht überlisten. Cecilia starb drei Monate später bei einem Autounfall. An genau der gleichen Stelle, an der sie auch ihren ersten hatte.«
Aurica lief eine Gänsehaut den Rücken hinunter, und sie drückte Benita fester. »O Gott, wie schrecklich! Es tut mir so leid!«
Die alte Wandlerin nickte und schwieg für einen Moment. Dann sammelte sie sich wieder. »Wie ich bereits sagte: Wenn das Schicksal es nicht will, lässt es sich kein Schnippchen schlagen. Es gibt Dinge, die sind mächtiger als wir. Das müssen wir akzeptieren. Und für uns andere geht das Leben weiter. Auch das müssen wir akzeptieren und lernen, es als ein Geschenk anzunehmen, auch wenn es uns zeitweise wie ein Fluch erscheint.«
»Weise Worte«, sagte Aurica leise.
Benita wandte sich ihr zu und lächelte. »In meinem langen Leben habe ich zumindest ein paar wenige Dinge gelernt. Und jetzt iss auf. Immerhin haben wir heute noch einiges zu tun.«
Eigentlich war Aurica der Appetit nach dieser Geschichte vergangen, doch sie wollte nicht unhöflich sein. Außerdem hatte niemand etwas davon, wenn sie ihr Essen stehen ließ. Benita widmete sich ebenfalls ihrem Teller. Ein paar Bissen später wendete sich ihr Gespräch auch wieder leichteren Themen zu.
Schließlich waren sie fertig, und Aurica half der alten Wandlerin, deren Protest sie geflissentlich ignorierte, den Tisch abzuräumen.
»So, wo waren wir letztes Mal stehen geblieben?«, überlegte Benita laut, nachdem alles erledigt war.
»Sollten wir nicht zuerst in dieses Compendium schauen? Womöglich finden wir eine Lösung, wie wir die Opfer aus dem Avido Optatum herausbekommen«, erkundigte Aurica sich vorsichtig.
»Nein. Selbst dann nicht, wenn ich nicht schon hineingeschaut hätte.«
»Du hast schon … Und es steht nichts darin?« Aurica konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen.
»Das habe ich nicht gesagt. Aber wir sollten erst einmal das Wichtigste erledigen – das heute obendrein fertig werden muss.«
»Die Schutzamulette«, seufzte Aurica ergeben.
Inzwischen kannte sie Benita gut genug, um zu wissen, dass sie nicht von ihrem Plan abweichen würde. Prinzipiell hatte sie nichts gegen die Schutzamulette, im Gegenteil. Eigentlich fieberte sie schon seit ein paar Tagen deren Fertigstellung entgegen. Aber sie war so gespannt auf dieses Handbuch der Arsch-Poesie – jetzt nannte sie es selbst schon so – und hoffte so sehr, dass es eine Lösung barg! Trotzdem musste sie Benita insgeheim recht geben. Die Schutzamulette, die sie gegen den Einfluss des Renfield-Faktors schützen würden, waren wichtig. Allerdings jetzt auch wieder nicht sooo wichtig, dass es auf einen Tag mehr oder weniger ankam. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass einer der Vampire sie oder jemand anderen innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zu seinem willenlosen Sklaven machen sollte?! Eigentlich nicht mal innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden. Oder auch zweiundsiebzig. Andererseits, bei Daniel, vor allem aber bei Raoul, wusste man nie. So gesehen hatte Benita schon recht. Abgesehen davon wäre es auch zu schön, um wahr zu sein, wenn sich das Problem mit dem Avido Optatum direkt heute Abend lösen ließe. Dafür müsste das Compendium jedoch die perfekte, maßgeschneiderte Superschnelllösung beinhalten. Was sie bezweifelte. Außer ihrer Neugierde gab es also keinen Grund, nicht zuerst die Amulette fertigzustellen.
Aurica unterdrückte ein Seufzen und folgte Benita in ihre Hexenküche, wie sie das kleine Zimmer nannte. Gezaubert hatten sie darin zwar noch nie, aber es enthielt alle Zutaten und Utensilien, die man fürs Zaubern brauchte. Wenn man Benitas Aussage glauben durfte, war die Ausstattung noch längst nicht vollständig, doch auf Aurica wirkte das trotz seiner Größe helle und gut sortierte Räumchen schon sehr hexenmäßig, da sich die alte Wandlerin auch ohne ihre Kräfte bereits ausgiebig mit der Heilkraft von Pflanzen beschäftigt hatte.
Aurica liebte den Duft der Kräuter, die zum Trocknen von der Decke hingen. Jeder verfügbare Zentimeter an der Wand war mit Regalbrettern bestückt, auf denen feinsäuberlich beschriftete Dosen, Gläser und Kästchen aufgereiht waren. In die Ecke hinter der Tür schmiegte sich ein kleiner Schrank, der diverse Töpfe, Geschirr und inzwischen auch wieder ein paar Zauberutensilien enthielt. Direkt vor dem großen Fenster stand ein Tisch aus Buchenholz, auf dem man Dinge zerkleinern und sonstige Vorbereitungen treffen konnte. Doch damit war der Raum auch voll. Zu zweit passte man kaum noch hinein.
Wenn sie das freundliche, helle Zimmerchen betrat, musste Aurica jedes Mal schmunzeln, da es das genaue Gegenteil von dem auf düster getrimmten Kabuff war, das Daniel im Auftrag von Madame Lafour für die Hexenecke im Museum gebaut hatte. Die malerische Schauerlichkeit entsprach dem absoluten Klischee einer Hexenküche: schiefe Bretter, auf alt gemachte Tiegel und Gläser mit fleckigen Etiketten, auf dem Tisch verteilte Tierknöchelchen, künstliche Spinnweben und ein über einem flackernden Feuer baumelnder Kessel. Nicht einmal den strubbeligen Reisigbesen in der Ecke, den Raben auf dem Fenstersims und die Katze vor dem Buch mit Zaubersprüchen hatte er ausgelassen. Aber die Hexenhütte sah wirklich gut aus und würde den Besuchern bestimmt gefallen, das musste Aurica zugeben.
»Also gut, erinnerst du dich noch, was wir brauchen, um die Amulette fertigzustellen?«, riss Benita sie aus ihren Überlegungen.
Aurica musste sich kurz sammeln. Es war etwas gewesen, das in ihren Ohren sehr absurd geklungen hatte. Ohnehin war die Erstellung der Amulette völlig anders abgelaufen, als sie es sich vorgestellt hatte. Wenn man einmal außer Acht ließ, dass sie sich per se noch nie darüber Gedanken gemacht hatte, wie man ein Schutzamulett herstellte. Aber gesetzt den Fall, sie hätte, dann hätte sie irgendwas mit Runen, magischen Kreisen, vielleicht noch einem dampfenden Kessel mit brodelnder Flüssigkeit und auf jeden Fall einer Menge Zauberstabgefuchtel vermutet. So viel zu Hexenklischees.
Tatsächlich war überhaupt nichts davon vorgekommen. Halt, doch. Die Runen. Immerhin.
Ganz von ungefähr kommen Klischees eben doch nicht, rechtfertigte Aurica sich innerlich.
Zunächst hatten sie für jeden aus dem Schloss der Schatten, der ein solches Amulett bekommen sollte, die passende Geburtsrune zum jeweiligen Sternzeichen samt Geburtsstunde ermittelt. Dann war diese jeweils zu exakt dieser Uhrzeit auf einem Anhänger eingebrannt worden, der aus einer speziellen Eisen-Silber-Legierung bestand. Diesen Teil hatte größtenteils Benita übernommen, da Babys für gewöhnlich dazu neigten, zu Uhrzeiten auf die Welt zu kommen, die nicht arbeitnehmerfreundlich waren. Doch zumindest zweimal hatte Aurica ihr assistieren können. Noch besser wäre es zwar gewesen, wenn die Rune nicht nur zu der gleichen Uhrzeit aufgebracht worden wäre, sondern auch am tatsächlichen Geburtstag, doch diesen abzuwarten, dazu fehlte ihnen schlichtweg die Zeit. Bei Gelegenheit würden sie das nachholen, aber im Moment musste es so gehen.
Das Aufbringen der Rune war interessant gewesen, denn eigentlich war die Legierung durch den Eisenanteil zu hart, als dass man einfach etwas einbrennen konnte. Obendrein hatte Benita, wenig zauberhaft, einen schlichten Lötkolben verwendet, mit dem unspektakulären Ergebnis, dass man gar nichts von der Rune gesehen hatte. Natürlich hatte Aurica sie darauf angesprochen, woraufhin die alte Wandlerin nur geheimnisvoll gelächelt und gesagt hatte, dass etwas nicht sichtbar sein müsse, um zu existieren. Insgesamt herrschte jedoch Pragmatismus vor, denn die Anhänger waren, ebenfalls wenig zauberhaft, im Internet bestellt worden. Auf diese Weise hatte Aurica gelernt, dass moderne Hexen heutzutage eigene Online-Shops führten, obendrein mit einer verblüffend großen Auswahl an schönen Anhängern. Zwar wirkte sich die Form nicht auf die Funktion des Schutzamuletts aus, doch sie half auseinanderzuhalten, für wen welches Amulett gedacht war.
Benitas erwartungsvoller Blick riss Aurica abrupt aus ihren Gedanken. Ach ja, sie wollte wissen, was sie noch brauchten. »Salz«, antwortete sie daher rasch. Da es Bestandteil fast jeden Zaubers war, lag man damit meist richtig.
Benita nickte zwar, aber ihr Grinsen ließ vermuten, dass sie Aurica durchschaut hatte.
Doch inzwischen hatte sie ihre Gedanken wieder geordnet. »Außerdem brauchen wir getrocknetes Eisenkraut, um die Schutzwirkung anzustoßen, Sandelholz zur Abwehr negativer Energien jedweder Art, Nachtkerzenblüten, die, weil sie nachts durchblühen, eine besondere Verbindung zur Nacht haben und deshalb den Zauber auf nachtaktive Kreaturen wie Vampire spezialisieren. Auch wenn sie sich, wie unsere, nicht daran halten. Und … Moment, ich komme gleich drauf. Weihrauch … nein. Ah! Ich hab’s: Myrrhe.«
»Genau. Und warum Myrrhe?«
In Auricas Kopf schwirrte es. Sie hatte in letzter Zeit so viel über die Wirkung der verschiedensten Kräuter und Substanzen gelernt, dass sie mitunter das Gefühl hatte, sich niemals alles merken zu können. »Es ist ein Harz, und wir wollten etwas mit Feuer machen?«
»Fast«, lachte Benita und lehnte sich mit der Hüfte an den Tisch. »Wenn du nicht weiter weißt, überleg bei den pflanzlichen Substanzen einfach mal, wofür sie von der Pflanze eingesetzt werden. Das hilft manchmal.«
»Ach ja!«, fiel es Aurica schlagartig wieder ein. »Der Myrrhestrauch nutzt das Harz, um das Eindringen von Schädlingen, beziehungsweise schädlichen Organismen zu verhindern.«
»Exakt. Also im übertragenen Sinn auch das Eindringen fremder, schädlicher Gedanken, die uns beeinflussen wollen.«
Schade, dass es nicht auch das Eindringen des Vampirs verhindert, dachte Aurica halb belustigt, halb grimmig, schob den Gedanken jedoch rasch wieder beiseite. Schließlich musste sie sich konzentrieren. Und wenn sie etwas inzwischen garantiert nicht bereute, dann, dass sie mit Raoul geschlafen hatte. Ja, gut, vielleicht das erste Mal. Da hatte sie tatsächlich unter dem Einfluss des Renfield-Faktors gestanden. Andererseits hätte sie ohne das niemals erfahren, was für einen miesen Charakter Daniel in Wirklichkeit hatte. Der zweite Sex mit Raoul war ihre bewusste Entscheidung gewesen. Das hatte sich Daniel selbst zuzuschreiben. Und deshalb bereute sie es auch absolut nicht. Kein bisschen.
Wirklich nicht.
»Hallo? Bist du noch da?« Benitas amüsierter Ton riss sie erneut aus ihren Gedanken.
»Was? Äh, ja.« Aurica schreckte hoch und errötete ertappt.
»Gut. Du suchst die Zutaten zusammen, ich nehme die Amulette. Den Rest machen wir auf dem Esstisch, da ist mehr Platz als hier. Zusätzlich zu dem Harz und den Blüten kannst du auch noch Myrrhe- und Nachtkerzenöl mitnehmen. Das verstärkt die Wirkung noch ein bisschen.« Sie nahm sich das Becken, in dem die Amulette nun seit einer Woche zusammen mit ein paar Silberstücken und schwarzen Turmalinen im Wasser lagen, und ging nach draußen.
Da Aurica sich inzwischen gut in dem Räumchen auskannte, fand sie das Gesuchte schnell und konnte Benita bald folgen.
Schutzamulette und ein böses Buch
Nun würden die Amulette also endlich fertig werden. Aurica hätte nicht gedacht, dass es sich bei der Erstellung um eine derart zeitaufwändige Angelegenheit handelte. Sie war davon ausgegangen, dass die Amulettproduktion an einem Abend erledigt sein würde. Aber sie war auch davon ausgegangen, dass es dazu brodelnder Kessel und Zauberstabgefuchtel bedurfte. Stattdessen waren immer nur ein oder zwei vergleichsweise unspektakuläre Kleinigkeiten zu tun gewesen, diese aber über eine ganze Woche verteilt. Denn auch die Zeit spielte eine wichtige Rolle. In diesem Fall hatten es exakt sieben Tage sein müssen.
Diesbezüglich hatte es der Zauberer, der ihnen das Avido Optatum gestohlen hatte, leichter gehabt. Er hatte sich die Schutzamulette, die er wollte, einfach mit Hilfe des Artefakts herbeigewünscht.
»Die Kräfte des Wassers haben nun lange genug auf die Amulette gewirkt und dabei auch die Kräfte der Turmaline und des Silbers weitergeleitet«, erklärte Benita, die mit einer Flasche Öl und einer verkohlten Steinplatte aus der Küche kam und beides zu dem Becken auf den Tisch stellte. »Heute werden die Kräfte des Feuers den Kreis schließen.« Sie fischte erst die Amulette, dann das Silber und die Turmaline aus dem Wasser und ordnete alles auf der Steinplatte an – die Amulette in der Mitte, Steine und Silber im Wechsel zu einem Kreis drumherum. »Jetzt müssen wir die ganzen Zutaten nur noch gemeinsam verbrennen und dabei unseren Zauber wirken.« Benita nahm Aurica das getrocknete Eisenkraut, die Sandelholzspäne, die trockenen Nachtkerzenblüten und die Bröckchen des Myrrhe-Harzes ab und schichtete alles darüber. »Nimm das Öl und füll einen knappen halben Zentimeter davon in die Tasse da drüben und misch ein paar Tropfen des Nachtkerzen- und des Myrrhe-Öls hinein.«
»Distelöl«, las Aurica nach einem Blick auf das Etikett. »Ist das von Bedeutung?«
»Nein. Es ist in dem Fall neutral. Du hättest genauso gut Rapsöl nehmen können. Bloß kein Sonnenblumenöl, denn das hebt die Wirkung der Nachtkerze auf.«
»Klar«, ächzte Aurica. Neben wirkungsvollen und neutralen Zutaten gab es ja auch noch solche, die Wirkungen wieder aufhoben. Wie sollte sie sich das bloß alles jemals merken!
»Das kommt mit der Zeit«, tröstete Benita sie, die offenbar genau wusste, was in der jungen Hexe vorging. »Du bist doch erst seit einer Woche dabei, jetzt sei nicht so streng mit dir. Außerdem sind viele Dinge tatsächlich logisch und ergeben sich von selbst, du wirst schon sehen.«
Das war Aurica ebenfalls aufgefallen. Bei näherer Betrachtung lag es durchaus auf der Hand, dass Sonnenblume Nachtkerze aufhob. Nur musste man bei der Vorbereitung eines Zaubers auch daran denken. Wie gewünscht mischte sie die Öle. Wenigstens kam es in den meisten Fällen nicht so genau auf die Dosierung an. Ein Punkt, den Aurica unglaublich beruhigend fand. Denn wenn sie auch noch darauf hätte achten müssen, dass Zauber A vier Tropfen Myrrhenöl benötigte, Zauber B hingegen nur dreieinhalb, dann hätte sie die Hexerei vermutlich sofort wieder an den Nagel gehängt.
»Das Ölgemisch träufelst du dann einfach über alles drüber. Sobald du bereit bist, deine Magie zu aktivieren, zündest du es an und lässt dabei den Zauber hineinfließen.«
»Kein besonderer Spruch?«, erkundigte sich Aurica überrascht.
»Nein. Sag mir nur, wie du den Zauber gestalten würdest.«
Das war einer der Punkte, der Aurica am meisten erleichtert – und ebenfalls ziemlich erstaunt hatte: Ein Zauber musste nicht zwangsweise von einem komplizierten Spruch begleitet werden. Zu Beginn war ihre größte Befürchtung gewesen, dass es zu jeder Anwendung eine ellenlange lateinische Formel gab, die man fehlerfrei aufsagen musste, wenn man keine haarsträubenden Konsequenzen heraufbeschwören wollte.
Es gab zwar auch solche Zauber, doch bei den meisten brauchte man sich nur ganz genau vorzustellen, was man haben wollte, und die Magie fließen zu lassen. Die diversen Zutaten dienten dabei lediglich als Ausgangspunkt, von dem aus die Magie ihre Wirkung entfalten konnte, und als Katalysator. Wobei lediglich vielleicht ein wenig untertrieben war. Sie waren essenziell und boten daher mehr als genug Fehlerpotential. Trotzdem bestand die Kunst hauptsächlich darin, die Konzentration auf die Magie und das gewünschte Ziel unter keinen Umständen auch nur für den Bruchteil einer Sekunde zu verlieren. Eine nicht zu unterschätzende Schwierigkeit, denn Zaubern war erstaunlich anstrengend, und Ablenkung lauerte überall. Bisher hatte Aurica geglaubt, sich recht gut konzentrieren zu können, doch das war offenbar ein Irrtum gewesen. Die Magie verlangte tatsächlich absolute Hingabe an eine Sache. Wie es Aurica dennoch irgendwann einmal gelingen sollte, bei voller Konzentration ihre Aufmerksamkeit zu teilen – beispielsweise bei einer Dämonenbeschwörung den Zauber aufrecht zu erhalten und gleichzeitig mit dem Dämon zu reden – war ihr ein komplettes Rätsel.
Aber darüber brauchte sie sich jetzt keine Gedanken zu machen. Im Moment war nur wichtig, wie sie diesen Zauber gestalten würde. »Ich würde mir eine Situation vorstellen, in der ein Vampir den Renfield-Faktor bei mir anzuwenden versucht und die Wirkung an mir abprallt«, beantwortete Aurica Benitas Frage.
Die alte Wandlerin nickte zufrieden. »Sehr gut. Dass du die Situation schon mal erlebt hast, ist von Vorteil.«
Allerdings. Zwar dachte die junge Hexe nur ungern daran zurück, doch Benita hatte recht.
Zum Glück fiel es Aurica inzwischen leicht, ihre Magie zu lenken. Anfangs hatte sie bezweifelt, dass das überhaupt jemals möglich wäre. Doch Raoul hatte mit einem Wunsch an das Avido Optatum bewirkt, dass sie ihre Kräfte beherrschen konnte, wofür sie ihm auf ewig dankbar sein würde.
»Aber du wirst mich doch mit deiner Kraft unterstützen, oder?«, versicherte sich Aurica besorgt. »Ich meine, falls ich zwischendrin die Konzentration verliere oder so.«
»Natürlich. Obwohl ich sicher bin, dass du es auch ohne mich schaffst.«
»Mh«, brummte Aurica. Sie hatte deutlich weniger Vertrauen in sich. Dennoch träufelte sie gehorsam die Ölmischung über die Kräuter.
»Hast du eine passende Situation?«, erkundigte sich Benita.
Oh ja, die hatte sie allerdings. Und die musste sie sich nicht einmal ausdenken, denn die hatte es wirklich gegeben. Die Magie verlangte zwar keinen realen Bezug, doch es machte die Sache deutlich einfacher. Obendrein hatte besagte Begebenheit den Vorteil, dass sie Auricas Wut ganz von selbst entfesselte – eine Emotion, die sie zur Aktivierung ihrer Kräfte brauchte.
Sie konzentrierte sich, und die Erinnerung tauchte vor ihrem geistigen Auge auf, als würde ein Kinovorhang beiseitegezogen. Raoul und sie im Wohnzimmer der Vampire, in jener schrecklichen Nacht, in der sie aus der Gefangenschaft der Werwölfe geflohen waren. Der Vampir hatte sich um Aurica gekümmert. Hatte vorgegeben, ein Freund zu sein. All das sehr überzeugend, bis zu jenem Moment:
Raouls Blick intensivierte sich. »Aurica, vertraust du mir eigentlich?«
»J-ja. Äh, ich denke schon.«
Er seufzte und schlug die Augen nieder. »Das ist ein Fehler.«
Dann erhob er sich und kam auf sie zu.
Aurica versank in dem Chartreusegrün seiner Pantheraugen und stand auf wie von unsichtbaren Fäden gezogen. Die Distanz zwischen ihnen war viel zu groß. Sie wollte – nein –, sie musste zu ihm. Musste ihn berühren, ihm nahe sein.
Irgendetwas an der ganzen Situation kam ihr befremdlich vor.
Es war, wie den Kopf voller rosa Zuckerwatte zu haben; wie auf flauschigen Wolkentrampolinen schwerelos ins Paradies zu schweben; der Erlösung entgegen; zum Ziel ihrer Wünsche; der Erfüllung all ihres Sehnens; begleitet von den elysischen Gesängen fluffig-weißgeflügelter Engelschöre …
Raoul zog sie an wie ein Magnet, und als sie ihn endlich erreicht hatte, schloss Aurica mit einem sehnsuchtsvollen Seufzer die Arme um seine schmale Taille. Gott, fühlte sich dieser Körper gut an! Sie wollte mehr – brauchte mehr!
Für einen Moment taumelte ein Bild von Daniel an ihrem inneren Auge vorbei, und ihr Gewissen zeterte hektisch wie ein aufgeschreckter Vogel. Aber der Moment war schnell vorbei.
Bedeutungslos.
Alles war bedeutungslos.
Alles bis auf dieses machtvolle Wesen in Gestalt eines unwiderstehlichen Mannes. Sie wollte ihm alles geben, was er verlangte. Ihren Körper, ihr Blut, ihr Leben. Alles! Solange er sie nur in seiner Nähe sein ließ. Solange nur die Aussicht bestand, ihn berühren zu können. Solange sie nur die Hoffnung hegen durfte, dass er sich nahm, was sie ihm so sehr geben wollte.
Aurica hob den Kopf, um Raoul anschauen zu können. Noch hatte er ihre Umarmung nicht erwidert. Wollte er sie etwa nicht?
Sie konnte den Ausdruck in seinen Augen nicht deuten. Doch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, senkten sich seine Lider mit den seidigen schwarzen Wimpern darüber und verbargen, was auch immer in ihm vorging.
Als er sie wieder öffnete, lag in Raouls Augen nur noch pures Verlangen. Er umfasste Auricas Gesicht und küsste sie.
O Gott, endlich!
Ganz schwach flackerte am Rande ihres Bewusstseins eine Erinnerung an das Athame in ihrer Tasche auf. Nun, die lag unten auf dem Sofa, und niemand würde das Messer dort vermuten. Dann fiel die Erinnerung samt Tasche und Athame über den Rand ihres Bewusstseins hinaus und stürzte in die unendliche Schwärze des Vergessens. Aurica war nur noch Fühlen und Begierde.
Sie spürte kühle Seide in ihrem Rücken, als Raoul sie auf sein Bett legte …
In Aurica brodelte es. So etwas würde ihr nie wieder passieren! In ihr brannte die Magie wie ein grünes Feuer, und sie wandelte die Begebenheit vor ihrem geistigen Auge ab:
Raouls Blick intensivierte sich. »Aurica, vertraust du mir eigentlich?«
»J-ja. Äh, ich denke schon.«
Er seufzte und schlug die Augen nieder. »Das ist ein Fehler.«
Dann erhob er sich und kam auf sie zu.
Aurica versank in dem Chartreusegrün seiner Pantheraugen und stand auf wie von unsichtbaren Fäden gezogen. Die Distanz zwischen ihnen war viel zu groß. Sie wollte – nein –, sie musste zu ihm. Musste ihn berühren, ihm nahe sein.
Irgendetwas an der ganzen Situation kam ihr befremdlich vor.
Befremdlich? Dieses Gefühl, ein Hirn aus klebriger rosa Zuckerwatte zu haben und in irgendeinem elysischen Kitschszenario mit plärrenden Engeln herumzuschweben, kannte sie doch nur zu gut!
Jaja, schon klar, der Typ sah irrsinnig gut aus, war höllisch heiß und so weiter – blabla. Aber auch ein manipulativer Coverboy war letzten Endes nichts anderes als ein manipulativer Dreckskerl. Dekorativ, aber kein Grund, sich selbst zu verlieren.
Aurica zerrte die rosa Zuckerwatte aus ihrem Kopf und stopfte sie dem plärrenden Engel in den Rachen. Sie trat einen Schritt zurück, sah Raoul fest in die Augen und verzog die Lippen zu einem abschätzigen Grinsen. Dann holte sie Schwung und donnerte ihren Fuß mit voller Wucht in einem formvollendeten und verdammt coolen Roundhouse-Kick gegen seinen Kopf.
»Mehr hast du nicht drauf?«, höhnte sie, während der Vampir stöhnend vor ihr auf die Knie sackte.
Okay, zugegeben, das war nicht gerade der genialste Spruch aller Zeiten, aber Schlagfertigkeit lag Aurica nun einmal nicht. Ebenso wenig wie formvollendete Roundhouse-Kicks, doch zum Glück war so etwas der Magie reichlich egal. Am Rande ihres Bewusstseins registrierte sie, dass sie die Kräuter anzündete. Ihre Hände hoben sich wie von selbst, und ihre Magie jagte das Gedankenbild mit aller Kraft in den brennenden Haufen. Entgegen ihrer anfänglichen Befürchtungen fiel es ihr auch kein bisschen schwer, den Zauber aufrechtzuerhalten, bis die Kräuter bis zum letzten Krümel verbrannt waren.
Der Zauber war fertig. Sie spürte es. Erschöpft ließ Aurica die Hände sinken.
»Bravo!« Benita stützte sich auf den Tisch und betrachtete das glimmende Häufchen. »Das war ja wie aus dem Lehrbuch. Ich musste nichts machen.«
»Wie jetzt? Wieso überlässt du die entscheidende Phase einer Anfängerin wie mir? Was, wenn etwas schief gegangen wäre?!« Aurica starrte sie entsetzt an, doch Benita lachte nur.
»Keine Sorge, ich hätte im Notfall schon eingegriffen, war mir aber ziemlich sicher, dass du es allein schaffen würdest. Und du hättest es gar nicht besser machen können. Du kannst dir beim Zaubern ruhig mehr zutrauen!«
»Na ja, wenn du meinst. Es ist halt noch sehr ungewohnt für mich, Kräfte zu haben.« Trotzdem war sie ein bisschen stolz auf das Vertrauen, das Benita in sie setzte. Vielleicht würde ihr das auch bald gelingen.
Die alte Wandlerin pustete die Asche weg. Sowohl das Silber als auch die Turmaline waren komplett verschwunden. Neugierig beugte sich Aurica über die Amulette und registrierte überrascht, dass dafür die Runen sichtbar waren. »Wo sind denn die Steine hin?«, wunderte sie sich. »Und müsste das Silber nicht zumindest eine Pfütze hinterlassen haben?«
»Keinesfalls. Das war ein magisches Feuer, das wirkt anders als ein normales. Die Essenz steckt in den Anhängern, der Rest ist nur noch Asche.«
Aurica tippte die Amulette vorsichtig mit dem Finger an. Wider Erwarten glühten sie nicht, sondern verströmten lediglich eine leichte Wärme. Behutsam nahm sie den Anhänger in Katzenform hoch, der für Sharai gedacht war, und betrachtete ihn von allen Seiten. Er strahlte eine schwache Magie aus. So sollte es sein, denn nur so konnte die Magie von der Energie des Amulettträgers überdeckt werden.
»Und jetzt sind sie fertig?«, fragte Aurica, auch wenn sie die Antwort bereits kannte.
»Ja. Ich habe noch ein paar Lederbänder, die wir anbringen können. Wobei es für die Wirkung egal ist, ob man es an einem Band, einer Kette oder einfach nur in der Hosentasche mit sich herumtragen will. Am besten verteilst du die Amulette direkt morgen. Pass nur auf, dass die Vampire nichts davon mitbekommen.« Sie reichte Aurica die Lederbänder, nahm sich selbst ihren Anhänger in Form eines Schafs und fädelte ihn auf. »In eurem speziellen Fall würde ich tatsächlich Silberketten empfehlen. Zwar kann der Vampir sie euch dann immer noch vom Hals reißen, aber es tut ihm wenigstens weh – und ihr riecht es.«
Ein guter Punkt, doch fürs Erste würden die Lederschnüre reichen müssen. Aurica versah nacheinander Sharais Katze, den Wolfszahn für Attila, das Herz für Mathilda und den Drudenfuß für Barbara aus der Verwaltung mit den Bändern. Für sich selbst hatte sie eine Fledermaus gewählt. Selbstredend nur, weil diese besonders schön war und ihr keines der Hexensymbole zugesagt hatte. Die Faune benötigten keine Amulette, da sie von Natur aus immun gegen den Renfield-Faktor waren.
Barbara wusste nichts vom übernatürlichen Wesen ihrer Kollegen. Daher konnte Aurica ihr leider keinen reinen Wein bezüglich des Amuletts einschenken. Zum Glück hatte die junge Frau kaum Berührungspunkte mit den beiden Vampiren. Doch Aurica wollte lieber auf Nummer sicher gehen und hatte deswegen auch ein Schutzamulett für sie gemacht. Praktischerweise hatte Barbara demnächst Geburtstag, sodass man es als Geschenk tarnen konnte. Hoffentlich gefiel es ihr, und sie würde es tragen.
Zufrieden hängte sich Aurica ihr eigenes Amulett um, was ihr das Gefühl gab, einen kleinen Erfolg erzielt zu haben. Aber sie waren ja noch nicht fertig für heute.
»Was hast du denn im Handbuch der Arsch-Poesie bezüglich des Avido Optatums herausgefunden?«
»Wie bitte?«
Benitas irritierter Gesichtsausdruck brachte Aurica zum Lachen. »Ach so, entschuldige. Ich meinte das Compendium de rerum potiri. Sharai hatte ein paar Probleme, sich den Titel zu merken. Also hat sie es kurzerhand umgetauft.« Rasch erzählte sie Benita von dem Gespräch.
»Eingängiger Titel.« Die alte Wandlerin musste nun auch schmunzeln. »Und irgendwie passend.« Sie deutete auf den Tisch. »Würdest du bitte die Sachen in die Küche räumen? Das Ding braucht Platz.«
Aurica kam ihrer Bitte nach, während Benita zu einer ihrer Kommoden ging. Aus dieser holte sie einen riesigen, ledergebundenen und ziemlich zerfledderten Folianten. Er war unübersehbar alt und offenbar sehr oft gebraucht worden. Jetzt, wo er vor ihr lag, fühlte Aurica deutlich die Magie, die davon ausging. Da er nicht der einzige magische Gegenstand in Benitas Haus war, hatte sich die seine zuvor jedoch in das allgemeine magische Rauschen eingefügt. So aus der Nähe betrachtet, bereitete ihr das Werk allerdings Unbehagen, denn es schien etwas Unheilvolles auszustrahlen – und das hatte nichts mit der Magie zu tun, die sie daran spürte. Konnte ein Buch eine schlechte Aura besitzen?
Aurica musterte den Wälzer kritisch. »Sollte so etwas nicht besser in einem Museum liegen? Er sieht alt aus. Ich will ihn nicht beschädigen.«
»Er ist auch alt. Aber er ist durch einen Zauber vor Beschädigungen geschützt.« Sie lächelte verschmitzt. »Es hat eine Menge Vorteile, eine Hexe zu sein.«
»Ah, verstehe. Das ist dann wohl die Magie, die ich an dem Buch spüre.«
»Genau.«
Aurica fuhr mit dem Finger über den brüchigen Ledereinband. Der Museumswissenschaftlerin in ihr widerstrebte es zwar, ein derart altes Buch ohne Handschuhe anzufassen, doch sie vertraute Benita. Das Leder fühlte sich alt und mürbe an. Daran änderte die Magie nichts. Doch es blieb tatsächlich nichts von dem Material an ihren Fingern hängen.
Obwohl die Magie, die sie spürte, nichts mit dem Folianten selbst zu tun hatte, hatte das Buch etwas an sich, das Aurica eine Gänsehaut verursachte. Schaudernd zog sie ihre Hand zurück. »Irgendwie ist das Teil unheimlich.«
Benita zuckte die Schultern. »Das kommt daher, dass es häufig und fast nur von bösen Menschen verwendet wurde. Das Compendium enthält ausschließlich Zauber der schwarzen Magie.«
Aurica wich unwillkürlich ein Stück zurück, auch wenn das Buch sie wohl kaum anfallen würde. Andererseits, man wusste ja nie.
Zumindest entlockte ihre Reaktion Benita ein belustigtes Grinsen. »Der Schmöker beißt nicht. Du kannst ihn ruhig anfassen. Es gibt auch in dem Sinne keine schwarze oder weiße Magie. Die Magie selbst ist neutral. Es ist die Art und der Zweck des Zaubers, der schwarz oder weiß ist. Du kannst den Folianten gern aufschlagen.«
Theoretisch wusste Aurica das mit der Magie auch, kam Benitas Aufforderung jedoch nur mit leichtem Widerwillen nach. Entgegen ihren Befürchtungen geschah nichts Ungewöhnliches, als sie den riesigen Buchdeckel vorsichtig mit zwei Händen öffnete. Weder widersetzte sich das Buch ihrem Ansinnen, noch kreischte es ohrenbetäubend oder versetzte Aurica einen magischen Schlag. Das Leder knirschte lediglich ein wenig, und das einzige, das ihr entgegensprang, war ein alter, aber sehr buchiger Geruch, der sie in der Nase kitzelte. Aufgeschlagen benötigte das Werk fast den gesamten Tisch und wirkte äußerst beeindruckend.
»Woher weißt du, dass es das richtige ist?«, erkundigte sie sich, denn auf dem Buchdeckel stand kein Titel, weshalb Aurica gehofft hatte, dass sie innen fündig wurde. Doch die erste Seite war herausgerissen worden, wie sich unschwer erkennen ließ. Mit einem missbilligenden Stirnrunzeln strich sie über die Beschädigung.
»Ich habe in letzter Zeit ein paar alte Kontakte reaktiviert. Es gibt eine Bibliothek für Hexen. Dort ist es seit langem archiviert. Wenn du so weit bist, werde ich dich den entsprechenden Personen vorstellen, aber noch ist es zu früh. Du musst erst mehr Erfahrung sammeln.«
Aurica nickte und blätterte sich durch die Seiten, die in unterschiedlichen Handschriften und Sprachen beschrieben waren.
»Wie du siehst, ist das Buch viel herumgekommen.«
»Das Wissen wurde offenbar erst nach und nach darin gesammelt. Wahrscheinlich sogar über viele Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte.«
»Ja. Gewissermaßen ist es auch ein Grimoire, nur dass es nicht innerhalb der Familie weitergegeben wurde, sondern innerhalb der Kreise, die sich den schwarzen Künsten widmeten.«
Aufgrund der verschiedenen Sprachen verstand Aurica nur einen Bruchteil des Geschriebenen, doch ein paar Dinge hatte sie inzwischen entziffern können. Sie rümpfte die Nase. »Das sind alles recht blutige Zauber«, stellte sie angewidert fest. »Überall wird irgendetwas geopfert, oder die Zutaten sind widerlich oder … Uargh!« Sie beugte sich unwillkürlich näher über den Text, weil sie dachte, sie hätte sich verlesen. Hatte sie allerdings nicht. »Die Leber eines seit drei Tagen toten Säuglings? Das ist ja pervers! Warum nicht gleich die eines lebenden?« Wütend sah sie auf, doch ein Blick in Benitas Gesicht ließ sie stocken. »Nein. Jetzt sag bitte nicht, dass man auch Kinder …« Ihr wurde schlecht.
»Man hat. Kinder, Tiere, menschliche Organe, Seelen, Eigenschaften … Die Palette ist grenzenlos.« Vage fuhr Benita mit der Hand über die Seite. »Wie ich bereits sagte, es ist die Art oder der Zweck des Zaubers. Die Erschaffung eines Avido Optatums fällt übrigens auch in den Bereich der schwarzen Magie.«
»Kein Wunder, dass das Buch so eine unangenehme Ausstrahlung hat! Mit solchen Zaubern will ich auf keinen Fall etwas zu tun haben! … Oha.« Sie hielt inne. »Du hast vorhin nicht explizit verneint, dass du fündig geworden bist.«
»So ist es. Ich hatte euch ja bereits vor der Erschaffung des Avido Optatum gesagt, dass man es, wenn überhaupt, nur zu dem Preis von mindestens einem Menschenleben wieder zerstören und die Opfer daraus befreien kann. Sprich, für anständig denkende Menschen ist es unzerstörbar.«
Aurica nickte. »Ich erinnere mich dunkel. Daher hatten wir die Erschaffung unbedingt vermeiden wollen. Was nicht geklappt hat. Aber wir können ja schlecht jemanden umbringen, um alles wieder rückgängig zu machen!«
»Eben. Deshalb habe ich mich auf die Suche nach anderen Lösungen gemacht. Wunschsteine sind nicht gerade mein Spezialgebiet, aber bekanntlich lernt man ja nie aus. Allerdings ist die Lösung, die ich gefunden habe, auch nicht viel besser. Sieh selbst.« Benita murmelte etwas und machte eine Handbewegung, als würde sie blättern, worauf die Seiten in Bewegung gerieten und sich das Buch an einer bestimmten Stelle aufschlug.
Aurica beugte sich neugierig vor, richtete sich jedoch direkt wieder enttäuscht auf. »Latein. Natürlich.«
»Und schlechtes noch dazu. Aber es ist trotzdem klar, was er will.«
»Welche Organe brauchen wir?«, fragte Aurica sarkastisch.
»Keine. Aber der Zauber muss an einem Ort durchgeführt werden, an dem vor nicht länger als einem Monat ein Doppelmord stattgefunden hat.«
»Na super. Wenn’s weiter nichts ist!« Aurica warf die Hände in die Luft, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne. »Nein, warte. Ich glaube, ich kenne tatsächlich einen solchen Ort. Dort hat es sogar einen Dreifachmord gegeben.«
Benita zog fragend die Augenbrauen zusammen.
»Erinnerst du dich noch, als ich mit Daniel und Raoul in deinem Garten saß und wir versucht haben, das Avido Optatum leerzuwünschen?«, erklärte Aurica. »Da fiel so ganz nebenbei die Bemerkung, dass Raoul drei Menschen getötet hatte, nachdem er mit Mathilda auf der Kirmes gewesen war. Er hatte seine Frau gerade küssen wollen, als so ein paar Typen, die auf Streit aus waren, ihn dabei unterbrochen haben.«
»Aaah, ja, da war etwas«, murmelte Benita, beugte sich dann jedoch über den Folianten und fuhr die Zeilen entlang, als suchte sie etwas. »Hier ist es.« Sie tippte auf eine bestimmte Stelle und richtete sich wieder auf.
Auricas Blick wanderte automatisch dorthin, was jedoch wenig brachte, da sie die Sprache ohnehin nicht verstand.
»Die Übersetzung mit dem Doppelmord war von mir etwas frei gewählt«, erläuterte Benita. »Hier steht, dass ein Altar vonnöten ist, auf dem zwei Menschenopfer dargebracht wurden. Zumindest grob. Wie ich bereits sagte, das Latein ist nicht das Beste.«
»Warum schreibt jemand auf Latein, wenn er es nicht kann?«, fragte Aurica leicht entnervt.
»Weil es schick war und man als gebildet gelten wollte.« Benita zuckte die Schultern. »Selbst von denen, die es gelernt haben, beherrschten die wenigsten es fehlerfrei. Fehler sind also gar nicht aufgefallen. Wer Latein sprach oder schrieb, egal wie gut, galt als klug. Keine Ahnung, wieso alle Welt immer davon ausgeht, dass es in historischen Büchern oder Schriften grundsätzlich korrekt zugeht.«
»Auch wieder wahr«, seufzte Aurica und warf dem Buch einen ärgerlichen Blick zu. »Und eigentlich ist das ja nun wirklich nicht unser Problem. Aber ein Altar mit Menschenopfern wird für uns wohl kaum aufzutreiben sein.«
»Ich denke nicht, dass wir das wörtlich nehmen müssen. Es geht vielmehr um die Energien, die beim Töten freigesetzt werden und die man für diesen Zauber braucht. Du kennst ja den Background der Person nicht, die das vor vielen hundert Jahren niedergeschrieben hat. Orte, an denen Doppelmorde stattgefunden haben, waren auch damals rar gesät. Womöglich war für den Verfasser ein Altar, auf dem Menschenopfer dargebracht wurden, schlichtweg leichter zugänglich. Wobei die einfachste Lösung gewesen wäre, vor dem Zauber schnell zwei Leute zu ermorden. Immerhin kennen Schwarzmagier von Natur aus wenig Skrupel. Meiner Meinung nach geht es hier darum, dass die Morde rein örtlich gesehen ganz nah beieinander geschehen sein müssen. Das ergäbe zumindest von der Lehre der Energien her Sinn.« Benita stützte sich auf dem schmalen Holzstreifen auf, den das Buch von dem Tisch übriggelassen hatte.
»Und was heißt in dem Fall nah?«, wolle Aurica wissen, der das Thema Übelkeit bereitete.
»Schwer zu sagen. Ideal wäre natürlich dieselbe Stelle, daher auch der Altar. Aber nebeneinander müsste genauso gut gehen. Vielleicht maximal ein Meter auseinander? Genau weiß ich das auch nicht.«
Aurica verzog das Gesicht und lief ein paar Schritte durch den Raum. Plötzlich ertrug sie die Nähe des Buches nicht mehr. »Also brauche ich Raoul nur zu fragen, ob er die Menschen fein säuberlich nebeneinander ermordet oder ob er dazu mehr Platz gebraucht hat?«
Benita hob die Hände. »Strenggenommen, ja.«
»Da gibt es allerdings ein Problem.« Aurica hielt in ihrer Wanderung inne und massierte sich stöhnend die Nasenwurzel. »Wenn ich ihn frage und sich herausstellt, dass die Opfer doch zu weit voneinander entfernt gestorben sind, wird Raoul wissen wollen, was es mit der Frage auf sich hat. Und wenn er das erfährt, sorgt er unter Garantie dafür, dass uns demnächst ein geeigneter Ort zur Verfügung steht. Wenn du verstehst, was ich meine.«
»Jaaa, da dürfte was dran sein«, erwiderte Benita bedächtig und strich sich nachdenklich durch die Haare. Auch sie entfernte sich ein paar Schritte vom Tisch. »Komm, machen wir es uns auf der Couch gemütlich.« Sie führte eine Handbewegung aus, worauf sich der riesige Foliant verblüffend sanft schloss. »An dieser Stelle hilft uns dieses zu groß geratene Handbuch der Arsch-Poesie auch nicht weiter.«
»Sharais Titel passt jedenfalls perfekt«, brummelte Aurica angewidert, während sie sich Benita gegenüber auf dem anderen Sofa niederließ.
»Auch Daniel sollte am besten nichts von dieser Bedingung erfahren«, führte die alte Wandlerin ihre Überlegungen fort. »Ich kenne ihn zwar nicht so gut wie du, aber er ist ein Vampir, und die müssen nun mal hin und wieder töten, um zu überleben. Sprich, selbst wenn er derjenige mit mehr Gewissen ist, liegt auch ihm das Morden näher als jedem von uns. Obendrein geht es ihm ohne sein Lebensglück gar nicht gut, und wir wissen nicht, wozu er bereit ist, um es wiederzubekommen. Ich möchte die Verantwortung, dass womöglich Unschuldige ihr Leben lassen, jedenfalls nicht tragen.«
»Ich auch nicht«, stimmte Aurica schaudernd zu. »Früher hätte ich, naiv, wie ich war, meine Hand für Daniel ins Feuer gelegt. Inzwischen bin ich mir bei ihm aber nicht mehr so sicher. Ich habe das Gefühl, ihn gar nicht mehr zu kennen. Außerdem«, fügte sie nach einer Weile leise hinzu, »wüsste ich ehrlich gesagt selbst nicht, wozu ich fähig wäre, wenn ich in seiner Haut stecken würde.«
Benita brummte zustimmend, stemmte sich dann jedoch noch mal aus ihrem Sitz hoch, verschwand in der Küche und kehrte kurz darauf mit einem frisch gefüllten Limonadenkrug und zwei neuen Gläsern zurück.
»Warum gehst du denn immer selbst? Du könntest auch einfach was sagen, und ich würde die Sachen holen!«, rügte Aurica, die erst jetzt merkte, wie durstig sie war.
»So bleibe ich wenigstens fit. Und jetzt hör auf zu nörgeln und schenk uns ein«, schmunzelte die alte Wandlerin, während sie sich wieder auf die Couch fallen ließ.
Kopfschüttelnd füllte Aurica die Gläser und schob Benita eins davon hin. Die beiden Frauen prosteten sich zu.
Aaah! Herrlich! Die erfrischende Limonade war genau das, was sie gebraucht hatte.
Sie drehte das fast leere Glas in den Händen. »Oder wir bitten die Vampire, wenn sie das nächste Mal töten müssen, das gleichzeitig zu tun und sich dafür jeweils einen Schwerverbrecher auszusuchen.« Eigentlich hatte Aurica das als Scherz gemeint, stellte jedoch fest, dass sie diese erschreckend naheliegende Möglichkeit tatsächlich in Betracht zog. Sie erschrak vor sich selbst. »Sag mal, hast du da etwa einen dicken Schuss Skrupellosigkeit in die Limonade gemischt?«, versuchte sie ihren Gedanken herunterzuspielen.
»Nein, es ist die gleiche Mixtur wie vorhin. Die Skrupellosigkeit braucht nur etwas, bis sie ihre Wirkung entfaltet.« Benita zwinkerte ihr belustigt zu. »Aber keine Sorge, logisch und moralisch fragwürdig schließen sich nicht immer aus. Doch bevor wir jetzt anfangen, die Steuerzahler zu entlasten, lass uns noch mal über die bereits vorhandenen Möglichkeiten nachdenken.«
Aurica nickte. »Du hast recht. Es wäre wirklich dumm, diese Chance ungenutzt verstreichen zu lassen.« Sie deutete mit dem Kinn auf den gruseligen Folianten. »Vielleicht gibt es einen unauffälligen Weg herauszufinden, in welchem Radius Raoul die Menschen ermordet hat.« Sie schüttelte sich. »Pfui, Teufel, wie das klingt!«
»Es klingt scheußlich, aber die Morde sind nun mal geschehen«, stimmte Benita zu. »Wir sollten die Chance wirklich nutzen, alles andere wäre dumm. Wenn der Abstand zu groß ist, hat es sich ohnehin erledigt. Allerdings, wo genau befindet sich dieser Ort? Mitten in der Stadt?«
»Jein. In einem Industriegebiet. Nicht hundert Prozent abgelegen, aber auch nicht hochfrequentiert. Zumindest nicht nachts.«
»Das ist zwar nicht optimal, aber mit etwas Aufwand sollte es möglich sein, das Areal für die Dauer des Zaubers magisch abzusperren, um eventuelle Störungen auszuschließen. Die wären fatal. Ein Restrisiko würde zwar bleiben, aber wenn es einen solchen Ort tatsächlich gibt, sollten wir ihn auch nutzen.«
Aurica nickte. »Unbedingt. Ich werde mein Bestes geben, die notwendigen Infos herauszubekommen. Falls der Ort ungeeignet ist, bewahren wir über das, was in dem Compendium steht, am besten Stillschweigen.« Sie warf dem Folianten einen schrägen Blick zu, als wäre er schuld an seinem Inhalt. Auch wenn das ungerecht war, schließlich hatte er sich nicht selbst geschrieben.
Für den heutigen Abend ließen die beiden Frauen das unangenehme Thema fallen. Stattdessen unterhielten sie sich lieber noch eine Weile über Angenehmeres, bevor Aurica die Amulette an sich nahm und sich auf den Heimweg machte. Sie fühlte sich seltsam zweigeteilt. Auf der einen Seite verspürte sie leichte Hoffnung, dass sie möglicherweise eine Lösung gefunden hatten, egal wie gruselig und moralisch fragwürdig diese auch war. Auf der anderen Seite raubte ihr gerade dies die Hoffnung, denn wenn die Voraussetzungen nicht passen würden …
Nein. Sie mussten. Sie mussten es einfach.
Nanu? Raoul hätte schwören können, dass er sein Handy auf der Kommode im Flur abgelegt hatte, doch da war es nicht. Na ja, irgendwo würde es schon sein. Er brauchte es gerade ohnehin nicht und konnte es später suchen. Mathildas Anwesenheit im Wohnzimmer war da deutlich interessanter. Raoul beschloss, sich zu ihr zu gesellen.
Seit sie dank Benitas Hilfe wussten, dass sie Seelenverwandte waren, gab Mathilda ihm eine Art Vertrauensvorschuss und ließ ihn gern in ihre Nähe. Sie bemühte sich sogar aktiv, ihn näher kennenzulernen. Doch so viel Zeit sie auch miteinander verbrachten, seine Frau konnte sich nicht an ihn erinnern. Wider besseres Wissen gab Raoul die Hoffnung trotzdem nicht auf. Doch das Stück ihrer Seele, das in dem Stein steckte, der später zu dem Avido Optatum geworden war, hatte sämtliche Erinnerungen an Raoul mit sich genommen. Solange der Stein existierte, gab es schon rein logisch gesehen keine Chance, dass Mathildas Erinnerungen zu ihr zurückkehren würden. Aber Logik war noch nie eine taugliche Partnerin für Hoffnung gewesen. Die zweite Möglichkeit wäre, dass Mathilda vielleicht neue Gefühle für ihn entwickeln könnte. Immerhin hatte sie sich schon einmal in ihn verliebt. Auch wenn das in einer anderen Zeit und in sein menschliches Ich gewesen war. Nur sah es, um ehrlich zu sein, bis jetzt leider nicht danach aus. Sie schien ihn zu mögen – mehr jedoch nicht.
Vielleicht kam das ja eines Tages noch. Dann könnte sie womöglich auch über seine scheinbare Jugend hinwegsehen. Ein weiterer Irritationspunkt für Mathilda.
Raoul seufzte. Träum weiter.
Zumindest spielte Zeit für einen Vampir nur eine untergeordnete Rolle, wobei er in Mathildas Fall durchaus Ungeduld verspürte. Ungewöhnlich für ihn, doch wenn es um sie ging, war er sich manchmal selbst fremd. Ein durchweg positives Gefühl. Nicht, dass er sich nicht mochte, im Gegenteil. Aber in ihrer Gegenwart fühlte er sich einfach menschlicher. Eine nicht zu unterschätzende Hilfe, denn Raoul spürte, wie es ihm täglich schwerer fiel, den verbliebenen Rest seiner Menschlichkeit zusammen zu halten. Doch für seine Frau wollte er um jeden Fetzen davon kämpfen. Zwar erwiderte Mathilda seine Gefühle (noch) nicht, aber sie verbrachte zumindest gern Zeit mit ihm, was er durchaus positiv wertete. Durch das Zusammensein wurden seine eigenen Gefühle für sie mit jedem Tag stärker, auch wenn er nicht geglaubt hätte, dass das überhaupt möglich war. Doch es half ihm, dem verlockenden Ruf der Dunkelheit in seinem Inneren zu widerstehen.
Raoul klopfte und schob die Wohnzimmertür behutsam auf. Das Bild, das sich ihm bot, brachte ihn zum Schmunzeln. Obendrein hatte er soeben sein Handy wiedergefunden. Mathilda tippte mit gerunzelter Stirn auf dem Display herum, hielt das Smartphone dann immer wieder vor die Stereoanlage, wie sie es sich offenbar bei ihm abgeschaut hatte, und zog es nach einer Weile enttäuscht an sich und tippte weiter.
Der Anblick löste ein warmes Gefühl in ihm aus. Ihr hüftlanges, blondes Haar hatte sie in einen Zopf geflochten, der ihren Rücken hinabhing, dazu trug sie eine legere zartblaue Bluse, die ihre Augen betonte, und eine Jeans. Es war zwar nach wie vor ungewohnt für ihn, seine Frau in Hosen zu sehen, doch es stand ihr hervorragend.
»Kann ich dir irgendwie helfen?«, erkundigte er sich, wobei er sich wohlweislich bemühte, die Belustigung aus seiner Stimme herauszuhalten, die er bei ihrem entnervten Gesichtsausdruck empfand.
»In der Tat«, bestätigte sie, ohne aufzuschauen, während er sich ihr näherte. Als er vor ihr stand, hob sie den Blick und streckte ihm das Smartphone vorwurfsvoll entgegen. »Aus welchem dieser bunten Bildchen kommt denn noch mal die Musik?«
»Das kommt darauf an, welche Musik du willst. Ich habe vieles direkt auf dem Handy, aber wenn du etwas anderes magst, kannst du es natürlich gern jederzeit streamen.«
Die Runzeln auf ihrer Stirn vertieften sich, während die Ungeduld in ihrem Blick wuchs. »Ich glaube dir zwar, dass irgendwelche Musik darin ist, auch wenn ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, wie sie in dieses flache Brettchen hineinpassen soll. Aber ich verstehe nicht, von welchen Striemen du sprichst.«
»Streamen«, korrigierte Raoul, wurde aber direkt unterbrochen.
»Jaja, das habe ich doch gerade gesagt! Bloß ohne das R derart lächerlich auszusprechen. Aber wie auch immer. Dieses Objekt ist mir ein Rätsel.« Sie schüttelte das Telefon, als könne sie die Musik auf diese Art herausbefördern.
Raoul fing ihre Hand behutsam ab und setzte sich, ohne ihre Hand loszulassen, neben sie. Dann wischte er einen Bildschirm weiter und deutete auf eines der farbigen Symbole. »Hier findest du die Musik, die auf dem Handy gespeichert ist. Und hier«, er zeigte auf ein weiteres, während er sich zwang, ihre Hand wieder freizugeben, »kannst du streamen. Das hat nichts mit Striemen zu tun, es ist bloß ein englisches Wort und bedeutet, dass die Musik quasi aus der Luft kommt.«
Mathilda starrte ihn für einen Moment an, öffnete den Mund, als wollte sie protestieren, schloss ihn dann jedoch wieder und winkte ab. »Musik aus der Luft. In dieser vollkommen wahnwitzigen Zeit ist wohl wirklich alles möglich.«
Eine Welle der Zärtlichkeit durchflutete ihn. »Zumindest fast. Und hier«, er wischte von oben nach unten und deutete auf ein graues Symbol, das wie ein sehr eckiges B mit Beinchen auf dem Rücken aussah, »kannst du das Gerät mit der Stereoanlage verbinden. Das bedeutet, dass du die Musik in einer guten Klangqualität hören kannst.«
»Jaja, das weiß ich doch. Plutus oder wie auch immer das heißt.« Sie wedelte ihn beinahe schon ungeduldig fort. »Nur dieses undurchschaubare Objekt hier hat einfach zu viele Bildchen.« Sie starrte das Smartphone vorwurfsvoll an.
Raoul verbiss sich ein Schmunzeln. »Genau, Bluetooth. Ich bitte um Verzeihung. Aber ich wusste ja nicht, dass jemand, der fast 130 Jahre in einem Zauberschlaf gelegen und in einer vollkommen wahnwitzigen Zeit aufgewacht ist, sich in selbiger bereits perfekt auskennt. Von besagtem undurchschaubarem Objekt einmal abgesehen.«
»Mach dich nur lustig über mich.«
Diesmal traf der vorwurfsvolle Blick ihn, trotzdem lag dabei ein humorvolles Funkeln in ihren Augen, das sofort ein Flattern in Raouls Magengrube auslöste. Er musste sich beherrschen, nicht die Hand an ihre Wange zu legen und ihr einen sanften Kuss auf den Mund zu hauchen. Raoul spürte, dass er kurz davor war, sich in ihrem Anblick zu verlieren, und schaute rasch zur Seite, während er sich innerlich zur Ordnung rief.
»Glaube mir, ich mache mich ganz gewiss nicht über dich lustig, mon amour. Im Gegenteil. Ich bewundere deine Forschheit und die Aufgeschlossenheit, mit der du dich all den Dingen widmest, die zu dieser wahnwitzigen Zeit gehören. Und das ist mein voller Ernst. Ich selbst habe die ganzen Entwicklungen gemütlich Schritt für Schritt mitbekommen und hatte Jahrzehnte, mich daran zu gewöhnen. Aber für dich ist alles neu. Du musst das Gefühl haben, auf einem vollkommen anderen Planeten aufgewacht zu sein.«
Mathilda ließ das Smartphone sinken und seufzte. »In der Tat. Das meiste verstehe ich nicht, und offen gestanden macht mir vieles davon Angst. Doch auf der anderen Seite finde ich es auch faszinierend und möchte noch viel mehr entdecken. Ich sehe ja bei euch, dass die meisten Dinge nicht gefährlich, sondern nützlich sind, was mich ermutigt, es ebenfalls auszuprobieren. Außerdem ist das die Welt, in der ich nun lebe, und ich möchte mich schnellstmöglich darin zurechtfinden.« Sie senkte den Blick und fügte noch leise hinzu: »Zudem ist es die Welt, in der mein Sohn lebt. Je mehr ich verstehe, desto näher fühle ich mich ihm. Überdies hoffe ich noch immer, ihm vielleicht irgendwie helfen zu können, auch wenn das vermutlich Unfug ist.«
Ihre Worte versetzten Raoul einen Stich. Er kam in ihren Plänen nicht vor. Aber wieso sollte er? Mathilda gab sich zwar Mühe, ihn kennenzulernen, doch er war für sie kaum mehr als ein Fremder.
»Es tut mir leid.« Ihr mitfühlender Blick verriet Raoul direkt, dass sie seine Gedanken erraten hatte. Sie war schon damals sehr empathisch gewesen. »Ich wollte damit nicht sagen …«
»Nicht. Wir hatten uns darauf geeinigt: keine Entschuldigungen«, unterbrach er sie und legte nun doch seine Hand sanft an ihre Wange. Sie ließ die Berührung zu. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Niemals. Dafür gibt es keinen Grund.« Er hielt einen Moment inne, doch dann zwang er sich, seine Finger wieder zurückzuziehen. Ihre Haut fühlte sich viel zu zart an – und viel zu vertraut. Am liebsten würde er … Um sich abzulenken, sprach er schnell weiter. »Es steht mir nicht zu, irgendwelche Erwartungen an dich zu stellen. Zwar würdest du mich zum glücklichsten Mann der Welt machen, wenn du mich irgendwann wieder als Teil deines Lebens siehst. Doch nimm dir die Zeit, die du brauchst. Bis dahin werde ich jedoch alles daransetzen, dass du dich für mich entscheidest.« Obwohl er seine Worte ehrlich meinte, brachten sie ihn fast um.
Mach es dir doch nicht unnötig schwer!, plärrte der Dämon in seinem Inneren. Beiß sie und manipuliere ihre Erinnerungen oder mach sie dir mit dem Renfield-Faktor gefügig. Was soll denn dieses Theater?
Hinter seinen geschlossenen Lippen schossen Raouls Zähne erwartungsvoll hervor. Es gelang ihm gerade noch, ein Knurren zu unterdrücken. Stattdessen atmete er tief durch und kämpfte seine Fänge zurück in den Kiefer. Dass ein Teil seiner Menschlichkeit fehlte, machte es ihm nicht einfacher, stark zu bleiben. Manchmal war es beinahe unerträglich verlockend, den Widerstand endlich aufzugeben. Den einen Schritt zu tun, der ihn noch vor dem Abgrund aus erlösender Dunkelheit trennte. Aber für Mathilda wollte er menschlich bleiben. Zumindest soweit ihm das als Vampir möglich war. Wenigstens fiel es ihm in ihrer Gegenwart vergleichsweise leicht, dem Drängen der Dunkelheit zu widerstehen.
Sie sollte sich aus freien Stücken für ihn entscheiden. Als Mensch hatte Raoul seine Chance aus reiner Dummheit verpasst. Dank ihm war sie schon durch die Hölle gegangen. Er würde ihr Leben kein zweites Mal zerstören. Im Grunde konnte er froh sein, dass sie sich nicht mehr an ihn erinnerte – und es vermutlich auch nie mehr tun würde. Vielleicht war es für sie beide besser, wenn sie noch einmal ganz neu anfingen. Und das wollte Raoul mehr als alles andere! Aber er wollte ebenso sehr, dass dieser Neuanfang echt war. Auch wenn das die Gefahr barg, dass Mathilda sich gegen ihn entschied.
Wie blöd kann man eigentlich sein?, murrte die nervige Stimme in seinem Inneren.
Raoul räusperte sich. »So, und jetzt Ende der Diskussion.« Damit meinte er gleichermaßen den Dämon wie Mathilda, die gerade zu einer Erwiderung ansetzen wollte. »Sag mir lieber, welche Musik du hören willst.«
Glücklicherweise gab sie ihren Widerstand auf und besann sich auf ihr ursprüngliches Problem. »Ich würde furchtbar gern eine Quadrille hören.«
Raoul schmunzelte in sich hinein. Mathilda hatte die Musik dieser geselligen Tänze schon früher geliebt. Ebenso wie das Tanzen selbst. Auch wenn sie im Moment höchstwahrscheinlich nicht ans Tanzen gedacht hatte. Aber das ließ sich ja ändern. Da er keine Quadrille auf dem Handy hatte, musste er eine Weile suchen. Dabei schaute ihm Mathilda zunächst neugierig über die Schulter, wandte sich dann jedoch kopfschüttelnd ab. Er konnte es ihr nicht verdenken. Die vielen fremden Symbole und schnellen Bildwechsel mussten sie überfordern.
Musik zu streamen, dürfte wohl noch etwas viel für sie sein. Aber er würde ihr ein paar Stücke herunterladen und auf einen USB-Stick ziehen, den sie direkt in die Musikanlage stecken konnte.
Schließlich hatte Raoul das Gewünschte gefunden, legte das Handy neben die Anlage und aktivierte Bluetooth. Dann erhob er sich, verbeugte sich vor Mathilda und hielt ihr einladend eine Hand hin. »Madame, darf ich um diesen Tanz bitten?«
Zum Glück bot der vordere Teil des Wohnzimmers, der Richtung Tür lag, genug Platz.
Seine Frau schaute ihn erst verblüfft an, dann lachte sie. »Aber eine Quadrille kann man doch nicht zu zweit tanzen!«
»Kann man nicht?«, entgegnete er verschmitzt. »In dem Fall werden wir wohl noch drei Paare brauchen.«
Er ergriff Mathildas Hand, zog sie vom Sofa und führte sie in den vorderen Teil des Wohnzimmers. Unterwegs nahm er einen Stuhl mit, den er auf der linken oberen Seite seiner improvisierten Tanzfläche platzierte und wandte sich seiner Tanzpartnerin zu. »Darf ich vorstellen: Das Ehepaar Dupont.« Er deutete auf das hölzerne Sitzmöbel. »Wirklich reizende Leute.«
Mathilda kicherte. »Ich sehe nur einen Stuhl. Soweit ich mit entsinnen kann, war das Ehepaar Dupont jedoch zu zweit.«
»Werte Dame, ich bitte, meinen Widerspruch zu verzeihen, denn unser Gegenüber besitzt vier Beine. Wenn ich mich recht erinnere, verfügte das Ehepaar Dupont über ebenso viele. Die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Da dir unsere Nachbarn wohlbekannt sind, würdest du bitte die Konversation für einen Moment übernehmen und mich entschuldigen?«
Während Mathilda sich lachend eine Hand vor den Mund schlug und dann vor dem Ehepaar Dupont in einen Knicks sank, huschte Raoul davon, um einen Sessel zu holen, den er links, ein gutes Stück von dem Stuhl entfernt platzierte. Er schaute sich suchend um, bis er ein zierliches Beistelltischchen mit Schublade entdeckte, das er noch ein Stückchen weiter dem Stuhl gegenüber abstellte.
Danach kehrte er zu Mathilda zurück und bot ihr seinen Arm. »Bitte entschuldigen Sie uns«, erklärte er dabei dem Stuhl-Ehepaar-Dupont. »Wir müssen unsere neu angekommenen Gäste begrüßen.« Damit führte er seine Frau zu dem wuchtigen Sessel, während er ihr unterwegs verkündete: »Mon amour, ich habe gerade gesehen, das genussfreudige Ehepaar Bertillon beehrt uns heute auch mit ihrer Anwesenheit.« Er verbeugte sich vor dem Sessel. »Ich freue mich, Sie in unserem bescheidenen Heim begrüßen zu dürfen. Dieser modische Samtbezug steht Ihnen beiden wirklich ausgezeichnet und macht eine schmale Taille.«
»Herzlich willkommen«, prustete Mathilda und knickste formvollendet, bevor sie sich von Raoul zu dem Beistelltischchen führen ließ.
»Ah, welche Freude, Monsieur Bonmercier mit seiner reizenden Gattin! Was macht die werte Gesundh...« Er zog die Schublade auf und bewegte sie hin und her, wobei er sich selbst mit verstellter Stimme unterbrach: »Hach, mein Rheuma hat mich die ganze Woche ans Bett gefesselt. Nur mit knapper Not ist es mir überhaupt gelungen, Ihrer freundlichen Einladung zu folgen, auch wenn das einen Abend voller purer Qual für mich bedeutet. Nicht wahr, Jean-Baptiste?«
»Das bedaure ich sehr, Madame Bonmercier«, antwortete Raoul mit seiner eigenen Stimme. »Umso mehr weiß ich zu schätz...«
»Das will ich sehr hoffen, junger Mann«, unterbrach er sich erneut mit verstellter Stimme, während Mathildas unterdrücktes Lachen endgültig herausplatzte. »Was glauben Sie, welche Überwindung es mich kostete, mich trotz meiner Gicht herzuschleppen. Jetzt sag doch auch einmal etwas, Jean-Baptiste!«
»Offenbar hat sich nichts geändert«, flüsterte Raoul seiner Frau vertraulich ins Ohr. »Sie lässt einen noch immer keinen Satz zu Ende bringen. Ich denke, wir können getrost unseren Platz einnehmen.« Dem Beistelltischchen erklärte er höflich: »Wir freuen uns außerordentlich, dass Sie trotz der unerquicklichen Umstände zu uns gefunden haben, und wünschen Ihnen noch einen schönen Ab...«
»Unerhört, uns hier einfach stehen zu lassen, Jean-Baptiste! Dabei habe ich noch nicht einmal die Gelegenheit bekommen, ausgiebig über deine widerwärtige Gastronomitis neulich zu klagen, die von diesen unerträglichen Flatterlätzchen begleitet wurde!«, zeterte das Bonmercier-Tischchen abschließend, während Raoul Mathilda auf Höhe des hypochondrischen Ehepaars so weit zurückführte, dass sie gegenüber des Dupont-Stuhls Aufstellung nehmen konnten. Nun bildeten alle vier »Paare« ein Karree.
»Es heißt Gastritis und Flatulenzen«, korrigierte Mathilda diskret und wischte sich die Lachtränen aus den Augen.
»Oh, ich bitte um Verzeihung. Mein Deutsch … du weißt schon.« Raoul hob entschuldigend die Hände. »Eine Sekunde bitte, das Orchester wartet noch auf seinen Einsatz.« Er flitzte zu seinem Handy, drückte auf Play und stand dank Vampirgeschwindigkeit fast unmittelbar darauf wieder vor Mathilda. Zum Glück hatte sich diese inzwischen zumindest daran gewöhnt. Galant verbeugte er sich vor ihr. »Darf ich um diesen Tanz bitten?«
»Mit Vergnügen.« Sie legte ihre Hand in seine ausgestreckte. Raoul liebte es, wie ihre Augen dabei funkelten.
»Es könnte allerdings sein, dass unsere Gäste diesmal ein wenig statisch tanzen.«
»Obwohl sie vier Beine haben?« Mathilda schmunzelte.
»Bedauerlicherweise. Rheuma, Gicht und Flatulenzen sind schuld. Und natürlich der Holzwurm.«
Mathilda knuffte ihn kichernd gegen den Arm. »Pfui, bist du grausam. Die Armen!«
Die Musik erklang, und sie verfielen in die bekannten Schritte, als hätten sie erst gestern ihre letzte Quadrille getanzt – und nicht vor fast 150 Jahren. Sie durchschritten den Raum, verbeugten sich vor dem Bertillon-Sessel, umkreisten das Bonmercier-Tischchen und tauschten den Platz mit dem Dupont-Stuhl, wobei sie immer wieder zueinander zurückfanden.
Raoul genoss Mathildas Unbeschwertheit und den Spaß, den ihr das Ganze offensichtlich bereitete. Wie so oft in letzter Zeit stellte er fest, dass er es nicht mehr mit der melancholischen jungen Frau zu tun hatte, die sie durch seine Schuld geworden war. Durch seine ebenso unbedarfte wie rücksichtslose Untreue, die Raoul als jungen Mann beständig umgetrieben und durch die er seine Frau immer wieder aufs Neue verletzt hatte. Nein, diese Mathilda mochte inzwischen zwar dreiundvierzig Jahre gelebt haben, aber sie war genauso fröhlich und unbeschwert wie das lebenslustige Mädchen von siebzehn Jahren, das er einst geheiratet hatte.
In Bezug auf ihn war der Verlust ihrer Erinnerungen eindeutig ein Gewinn für sie. Und für ihn ebenso. Raoul spürte, wie sein Herz ihr noch ein weiteres Stück entgegenflog. Er liebte diese Frau so sehr! Endlich wieder Zeit mit Mathilda verbringen zu dürfen, empfand er als kostbares Geschenk, denn allein ihre Anwesenheit machte ihn glücklich. Auch wenn diese gemeinsame Zeit seine Sehnsucht nach ihr nur noch stärker entfachte.
Raoul wünschte sich einen Neuanfang mit Mathilda. Er wünschte es sich so sehr! Doch sie sollte die Zeit bekommen, die sie brauchte. Jedenfalls würde er dieses Mal alles besser machen und ihr der Ehemann sein, den sie verdiente. Vorausgesetzt, sie wollte ihn ebenfalls.
Du kannst dafür sorgen, dass sie es tut.
Ferme ta gueule! – Halt die Schnauze!
Verfluchter Dämon! Der Abgrund dahinter schimmerte verlockend. Es wäre deutlich einfacher, wenn mit dem Verlust seiner Menschlichkeit gleichzeitig der Verlust seiner Liebe und Empathie einhergegangen wäre! Zumindest hätte Raoul Menschlichkeit noch bis vor Kurzem auf diese schlichte Weise interpretiert. Was für ein grandioser Irrtum. So wunderbar Liebe und Empathie auch waren, sie beschränkten sich beileibe nicht auf die Menschheit. Jedes Tier besaß sie. Doch der Mensch verfügte über die Möglichkeit, den Willen eines Schwächeren bewusst zu respektieren, anstatt diesem den eigenen aufzuzwingen, nur weil er es konnte oder es ihm besser in den Kram passte als die Bedürfnisse des Gegenübers. Eigentlich keine große Sache – und doch etwas, dessen Sinnhaftigkeit Raoul bei jeder Diskussion mit seinem Dämon ein Stückchen weniger einleuchtete.
Raoul hatte mehrere Musiktitel ausgewählt, doch den letzten so, dass er in einem Galopp endete, den er geschickt in einen Walzer übergehen lassen konnte. Mathilda liebte diesen Tanz, auch wenn er in ihren Augen ein wenig unschicklich war. Aber genau das kam ihm entgegen.
Dementsprechend entfuhr ihr ein überraschtes Quietschen, als er sie für das Finale an sich zog. Selbstverständlich ohne ihr dabei näher zu kommen, als der Walzer es erlaubte, auch wenn es ihm schwerfiel. Nachdem sie ihren anfänglichen Schreck überwunden hatte, überließ sie sich Raouls Führung, und sie wirbelten lachend durch den Raum. Mit dem letzten Takt kam er in der Mitte der Tanzfläche zum Stehen. Er löste sich von seiner Tanzpartnerin, hielt ihre Hände jedoch weiterhin fest.
»Grundgütiger!« Mathilda rang nach Atem. »Eigentlich hatte ich nur eine Quadrille hören wollen. Und dann das!« Doch sie lächelte.
»Ich bin eben immer für eine Überraschung gut.«
Sie nickte langsam. »In der Tat. Aber die größte Überraschung war – und ist – die, dass du anscheinend mein Mann bist.«
»Gut oder schlecht?«
Mathilda seufzte leise. »Wenn ich das nur wüsste.«
Raoul ließ ihre Hände los und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte. Erfreut registrierte er, dass sie die Berührung zuließ. Auch wenn es zum größten Teil wahrscheinlich der Tatsache geschuldet war, dass sie auf Verstandesebene akzeptierte, mit ihm verheiratet zu sein.
»Kannst du es dir denn nicht zumindest ein bisschen vorstellen?«
»Seit wann wird eine Frau denn gefragt, ob sie sich eine Ehe mit einem bestimmten Mann vorstellen könnte?«
»Immerhin seit ein paar Jahrzehnten. Aber du weichst mir aus.« Als er merkte, dass der letzte Satz etwas härter klang als beabsichtigt, fügte er noch schnell hinzu: »Selbstverständlich darfst auch du mitentscheiden. Darüber hatten wir gesprochen. Ebenso hatte ich versprochen, dich nicht zu drängen, und daran werde ich mich halten. Andererseits bin ich natürlich neugierig und möchte gern wissen, was in dir vorgeht.«
Mathilda wich seinem Blick aus, was kein gutes Zeichen war. »Du weißt doch, dass ich mich nicht an dich erinnern kann und es vermutlich auch nicht tun werde, solange das Stück meiner Seele in dem Avido Optatum gefangen ist«, druckste sie.
»Das weiß ich, und darum geht es auch nicht«, versetzte er, wobei es ihm irgendwie gelang, die Ungeduld aus seiner Stimme herauszuhalten. Es hatte keinen Sinn, sie zu bedrängen. »Das war eine dumme Frage. Erst verspreche ich, dich nicht unter Druck zu setzen, und dann tue ich es doch. Bitte verzeih mir.«
»Nein, das hast du nicht. Ich kann dich ja verstehen. Aber ich möchte dich nicht anlügen.« Sie knetete unbehaglich ihre Finger.
»Das sollst du auch nicht.« Doch. Manchmal wünschte ich, du würdest es. »Niemand hat behauptet, dass du mir nach dem Mund reden sollst.« Obwohl das deutlich leichter zu ertragen wäre.
»Ich verbringe gern Zeit mit dir. Das ist die Wahrheit. Ich mag dich. Wirklich. Nur … Ich will dich nicht verletzen. Wenn dir das alles zu langsam geht … Letztendlich ist es doch nicht wichtig, ob ich etwas für dich empfinde oder nicht! Die wenigsten Frauen haben ihre Männer aus Liebe geheiratet. Ich hätte es schlechter treffen können und kann durchaus damit umgehen, wenn du …«
»Stopp, stopp, stopp!« Raoul hob abwehrend beide Hände und trat einen Schritt zurück. Das war nun wirklich nicht das, was er hören wollte!
Warum eigentlich nicht?
Tja, warum eigentlich nicht?
Energisch schüttelte Raoul die Überlegung ab. »Ich weiß, du wurdest so erzogen – wir beide wurden so erzogen«, erwiderte er stattdessen. »Aber gewöhn dir diese Denkweise bitte so schnell wie möglich wieder ab! Ich gebe zu, zu unserer Zeit habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Es war mir auch einerlei, welche Gefühle meine Frau für mich hegte. Halt, nein, das ist so nicht ganz richtig. Ich bin damals einfach davon ausgegangen, dass du mir zugetan warst.« Er hielt kurz inne. Seinem Dämon mochte das vielleicht entgegenkommen, doch für ihn stellte das nicht länger eine akzeptable Grundlage für eine Beziehung dar. »Letztendlich interessiert nicht, was früher war. Heute reicht mir das nicht mehr. Ich möchte echte Gefühle – und zwar von beiden Seiten.«
»Ein schöner Gedanke«, murmelte Mathilda und schaute zu Boden. »Ich würde dir gern Gefühle entgegenbringen. Nur kann ich mich nicht zwingen, dich zu lieben.«
»Das weiß ich.« Raoul unterdrückte den Frust, den der letzte Satz in ihm auslöste, trat zu ihr und hob ihr Kinn an, sodass sie ihn anschauen musste. »Aber ich liebe dich, und das kann ich genauso wenig ändern. Und will es auch nicht. Daher hoffe ich einfach, dass du dies eines Tages erwidern kannst. Und falls nicht … Darüber möchte ich nicht nachdenken, doch dieses Risiko bin ich bereit einzugehen.« Jedes einzelne Wort kostete ihn Kraft, aber es war die Wahrheit.
Ein beinahe schon zärtliches Lächeln breitete sich auf Mathildas Gesicht aus und raubte ihm fast den Atem. »Wenn du so schöne Dinge sagst, frage ich mich manchmal, wie man dich nicht lieben kann.«
Der Kloß, der sich in seiner Kehle bildete, drohte ihn zu ersticken – was bei einem Vampir eine reife Leistung war. Daher räusperte er ihn schnell weg und flüchtete sich auf eine scherzhafte Ebene. »Och, dafür gibt es mehrere Millionen Gründe. Frag einfach jeden, den du kennst. Bei dir gebe ich mir nur besondere Mühe, mein wahres Ich zu verbergen.«
Darauf erwiderte Mathilda zwar nichts, schaute ihn jedoch mit einem unergründlichen Lächeln an. Raoul mochte sich irren, doch in ihrem Blick meinte er Vertrauen und eine gewisse Zuneigung zu erkennen.
Würde sie aus der heutigen Zeit stammen, hätte er sie jetzt einfach geküsst. Damit wäre er in Mathildas Fall allerdings über das Ziel hinausgeschossen und hätte sie überfordert. Daher rief er sich zur Ordnung, konnte aber nicht verhindern, sich in der Tiefe ihrer Augen zu verlieren. Unwillkürlich glitt sein Blick zu ihren schön geschwungenen Lippen. Raum und Zeit verschwammen, und er verlor sich im Moment. Wie von magischer Hand geführt senkte er den Kopf behutsam in ihre Richtung.
»Ich fahre ins Schloss der Schatten. Will jemand mit?«, ertönte plötzlich eine hämische Stimme von der Tür, worauf Mathilda wie von der Tarantel gestochen einen halben Meter nach hinten sprang.
Raoul fuhr ebenfalls hoch. Er war derart versunken gewesen, dass er Daniel nicht bemerkt hatte. Konnte man den dringenden Wunsch verspüren, jemanden grausam töten, ihn aber gleichzeitig mit Geschenken überhäufen zu wollen, weil er einen vor einem riesigen Fehler bewahrt hatte? Zwar höchstwahrscheinlich unabsichtlich, doch das Ergebnis zählte.
Bei näherem Nachdenken drängelte sich jedoch eindeutig das Bedürfnis in den Vordergrund, Daniel den Hals umzudrehen. Da er seinem Frust aber unmöglich vor Mathilda Luft machen konnte, begnügte er sich damit, seinem Sohn einen mörderischen Blick zuzuwerfen.
Der blonde Vampir lehnte lässig im Türrahmen, eine Hand in der Tasche, und klapperte mit dem Autoschlüssel. Doch sein schadenfrohes Grinsen wirkte aufgesetzt. Allerdings schien die Tatsache, keinerlei Art von Freude empfinden zu können, ihn nicht davon abzuhalten, den ultimativ nervtötenden Quälgeist zu mimen.
»Es ist fast zehn Uhr abends. Darf ich fragen, welche unaufschiebbaren Angelegenheiten dich zu dieser späten Stunde ins Schloss der Schatten ziehen? Und wieso dich irgendjemand dorthin begleiten wollen sollte?«, erkundigte sich Raoul, so ruhig es ihm möglich war.
»Ich hatte den Eindruck, Maman wünscht womöglich ein wenig Abstand zu dir. Und du tauchst doch am liebsten immer dann im Schloss der Schatten auf, wenn dich niemand brauchen kann. Ich wollte nur nett sein und dir eine Mitfahrgelegenheit anbieten.« Daniel ließ den Schlüssel um seinen Finger rotieren.
Mathilda räusperte sich. »Ich werde mich auf mein Zimmer zurückziehen. Gute Nacht.« Sie nickte Raoul knapp zu und drängte sich an Daniel vorbei, wobei sie über seinen Arm strich und kurz seine Hand drückte.
Eine Geste, die Raoul nicht so recht zuordnen konnte, weshalb er beschloss, sie nicht weiter zu hinterfragen. »Meine Dankbarkeit kennt keine Grenzen«, erwiderte er stattdessen zweideutig. »Allerdings verzichte ich schweren Herzens auf dein großzügiges Entgegenkommen und warte lieber einen Augenblick ab, an dem du mich im Museum wirklich nicht brauchen kannst. Morgen vielleicht.«
»Zu schade. Aber war ja nur ein Angebot.«
»Du willst mir nicht allen Ernstes erzählen, dass du jetzt noch ins Schloss der Schatten fährst?«
»Doch. Das habe ich tatsächlich vor. Allerdings hatte ich nicht vor, jemanden mitzunehmen. Die Idee kam mir ganz spontan, als ich gesehen habe, wie du meine Mutter bedrängst.« Daniels Augen wurden schmal, und etwas Dunkles loderte darin auf.
Augenblicklich flammte Raouls Ärger wieder auf. »Ich habe sie nicht bedrängt«, stellte er mit scharfer Stimme klar, auch wenn ihm bewusst war, dass Daniel nicht komplett falschlag.
»Noch nicht.«
»Na schön.« Er breitete ergeben die Hände aus. »Ich habe mich hinreißen lassen, und womöglich wäre ich tatsächlich etwas zu weit gegangen. Aber nur ein Wort von Mathilda, und ich hätte sofort aufgehört. Dennoch hast du mich mit deiner kleinen Farce vor einem Fehler bewahrt.« Da dies gewiss nicht in Daniels Absicht gelegen hatte, konnte er sich nicht verkneifen, noch süffisant hinterherzuschieben: »Das hätte mich in meinem Bemühen um Mathilda sicher zurückgeworfen. Normalerweise verfahre ich mit Störenfrieden, die mich daran hindern, meine Frau zu küssen, deutlich anders – ich erinnere nur an die bedauernswerten Hohlköpfe damals nach der Kirmes.« Er winkte betont großzügig ab. »Aber da du mir in dieser speziellen Situation einen Gefallen getan hast … Vielen Dank für dein Eingreifen.«
Für einen kurzen Moment entgleisten Daniels Gesichtszüge. Diesen Aspekt hatte sein Sohn eindeutig nicht bedacht. Raoul unterdrückte ein befriedigtes Schnauben. Allerdings hatte er keine Lust, den ganzen Abend auf dem Thema herumzureiten. »Also was willst du heute noch im Schloss der Schatten?«, erkundigte er sich besänftigt.
Daniel bemühte sich sichtlich, seinen Ärger herunterzuschlucken, seufzte dann jedoch resigniert. »Laut Aurica besteht die Generaldirektion Kulturelles Erbe darauf, dass die Eröffnung des Museums wie geplant stattfindet, auch wenn Madame Lafour unauffindbar ist. Stattdessen soll Aurica sie vertreten. Da das mehr Arbeit für sie bedeutet, habe ich ihr ein paar Dinge abgenommen. Daran müsste ich zwar nicht unbedingt heute Nacht arbeiten, aber ich brauche Ablenkung.«
Raoul nickte verstehend. Da Vampire nicht viel Schlaf benötigten, fiel diese Art des Zeitvertreibs schon mal weg. Vor kurzem hätte ihn deswegen noch sein schlechtes Gewissen geplagt, immerhin war es seine Schuld, dass Daniel sein Lebensglück verloren hatte. Doch er spürte kaum noch etwas davon. Einerseits empfand Raoul das als angenehm, andererseits war ihm durchaus bewusst, dass er damit eine fatale Richtung einschlug. Angespannt fuhr er sich durch die Haare.
Zum Glück ersparte der blonde Vampir ihm die Notwendigkeit einer Erwiderung, da er sich bereits abgewandt hatte und kurz darauf die Haustür ins Schloss fiel.
Plötzlich hätte Raoul doch gern etwas getan, um Daniel seinen Zustand vergessen zu lassen, zumindest für eine Weile. Sie hätten zusammen auf die Jagd oder nach menschlichen Maßstäben einfach etwas trinken gehen können. Oder sonst irgendetwas. Nur leider hasste Daniel ihn – zu Recht – aus tiefstem Herzen, weswegen Raoul wahrscheinlich der Letzte war, der ihm ein solches Angebot machen sollte.
Seufzend schnappte er sich die Ehepaare Dupont, Bertillon und Bonmercier und stellte sie an ihre Plätze zurück.
»Wow, wie cool ist das denn!«, freute sich Sharai, als Aurica Attila und ihr am nächsten Morgen ihre Schutzamulette überreichte.
Auch der Werwolf nickte sichtlich beeindruckt. »Danke. Sowas kannst du schon?«
»Na ja, mit Benitas Hilfe natürlich, die mir minutiös jeden einzelnen Schritt erklärt hat. Alleine hätte ich keine Chance gehabt.« Verlegen, aber doch ein kleines bisschen stolz, rückte Aurica ihre Brille zurecht und trat einen Schritt von ihrem Schreibtisch zurück, vor dem sie sich versammelt hatten.
»Also hör mal, du bist ja quasi erst ein Hexen-Azubi. Da erwartet niemand, dass du alles schon aus dem Effeff beherrschst.« Sharai zog sich das Lederband über den Kopf und ließ das Amulett in ihrem Ausschnitt verschwinden, wie Aurica es ihr geraten hatte. Dann holte sie es jedoch direkt wieder hervor. »Eigentlich ist es zu schade zum Verstecken. Bei Attila ist es okay, er ist ja nicht so der Schmuck-Typ. Aber ab und an trage ich auch solche Ketten. Daher glaube ich nicht, dass den Vampiren das auffällt. Du sagst, dem Amulett selbst merkt man die Kräfte nicht an, oder?«
»Nein, außer man hat die Begabung, Magie in irgendeiner Form wahrnehmen zu können. Aber die kommt eher bei Hexen vor. Zum Glück spüren Vampire nicht, wenn man etwas bei sich trägt, das gegen ihre Fähigkeiten schützt. Allerdings wäre es sinnvoll, das Lederband gegen eine Silberkette auszutauschen. Für den Fall, dass sie es doch irgendwann mal mitbekommen und dir das Amulett wegnehmen wollen.«
»Warum sollten sie?«, wunderte sich Shari. »Das würde ich nicht mal Raoul zutrauen, und das will was heißen.«
»Im Moment nicht«, berichtigte Attila sie mit grimmigem Blick. »Durch die Opfer, die die Erschaffung des Avido Optatums von ihnen gefordert hat, sind beide potenzielle Gefahrenquellen. Wir besorgen dir heute noch eine Silberkette.«
»Wir besorgen dir heute noch eine Silberkette«, äffte die kleine Gestaltwandlerin ihn prompt nach, wobei sie sich auf die Zehenspitzen stellte, die Arme mit angewinkelten Ellenbogen vom Körper abspreizte und sich größtmöglich aufplusterte. Also insgesamt weniger gewaltig als beabsichtigt. Allerdings strafte der liebevolle Blick, den sie Attila dabei zuwarf, ihre Imitation Lügen. »Am besten eine von den fetten, mit denen man normalerweise Motorräder sichert. Und drei Vorhängeschlösser. Mindestens!«
Der bullige Sicherheitschef verzog keine Miene. »Vier. Alle mit Selbstschussanlage.« Der warme Ausdruck in seinen Augen nahm seiner Mimik die Strenge. Trotzdem freute sich Aurica für Sharai, dass es keine Vorhängeschlösser mit Selbstschussanlage gab. Gab es doch nicht, oder? Attila steckte sein Amulett in die Tasche und deutete auf Auricas. »Ihr solltet nicht alle gleichzeitig mit solchen Ketten auftauchen. Zu auffällig. Verbirg deine besser unter der Kleidung, da du nicht so häufig Schmuck trägst.«
Was dem alles auffiel! Allerdings hatte er recht.
»Das stimmt. Ich stecke es besser erst mal in die Tasche. Da schützt es mich genauso.« Aurica ließ ihren Worten direkt Taten folgen. Dann atmete sie durch. »Gut. Barbara bekommt ihr Amulett, wenn sie zurückkommt. Sie hat heute Morgen angerufen, dass sie mit Blinddarm im Krankenhaus liegt. Danach ist sie erst mal zwei Wochen krankgeschrieben, vielleicht werden es auch drei. So leid mir das auch für sie tut, aber im Hinblick auf unsere Dämonensituation ist das ein überaus willkommener Puffer. Als ihre Vertretung kannst du direkt mal schauen, ob irgendwas bei ihr anfällt«, bat sie Sharai.
»Oje, die Arme.« Die kleine Gestaltwandlerin verzog mitfühlend das Gesicht. »Hoffentlich übersteht sie alles gut. Klar, ich gehe nachher sofort gucken, ob ich was tun muss.«
»Sehr gut.« Aurica nickte zufrieden. »Bis auf Mathilda wären damit erst mal alle mit Amuletten versorgt. Aber dafür wird sich auch noch eine Gelegenheit finden. Was bedeutet, dass ich jetzt wieder ganz in Ruhe wegen der Museumseröffnung in Panik ausbrechen kann.« Aurica ließ stöhnend den Kopf in die Hände sinken. »Mir bleiben nur noch zwei Tage!«
»Mit heute drei«, relativierte Sharai, was Auricas Ängste jedoch nicht wirklich abflauen lassen wollte.
»Ist doch alles erledigt oder in Arbeit. Kein Grund zur Aufregung. Hier, die Liste«, entgegnete Attila pragmatisch und rief die für alle zugängliche Datei auf seinem Tablet auf.
Beinahe sämtliche Punkte leuchteten grün, wie schon gestern Abend, als sie die Liste durchgegangen waren. Aber die neue Verantwortung lastete schwer auf Aurica, weshalb eigentlich nichts mehr gegen ihre Nervosität half. Und selbst wenn alles gutging, was redete man am Eröffnungstag mit einer Ministerpräsidentin und irgendwelchen hochrangigen Kulturleuten? Aurica würde ihnen und der Presse eine Führung durch das Museum anbieten. O Gott, apropos Presse! Die Pressemappe musste dringend fertig werden. Die hatte sie gar nicht auf dem Schirm gehabt, bis sie diese Aufgabe gestern in Madame Lafours Büro entdeckt hatte. Außerdem musste sie noch …
»Lediglich das Thema Geisterbahn ist noch nicht abgeschlossen.« Der Sicherheitschef deutete auf mehrere gelbe Aufgaben. »Aber Daniel hat mir versichert, dass er gut in der Zeit liegt. Und hier …«
»Verdammt, ich wusste, da war noch was!«, unterbrach Aurica ihn. »Die Rede! Irgendjemand muss diese verdammte Eröffnungsrede halten! Darum wollte ich mich eigentlich gestern kümmern, aber es ist wieder etwas dazwischengekommen. Ich rufe gleich bei der Stadt an und spreche danach mit Raoul. Zur Not muss er einspringen. Wollte er nicht später ohnehin noch vorbeikommen?« Aurica wurde ein wenig ruhiger. Sie wusste all das, dennoch half es ihr, einen Plan zu haben und mit eigenen Augen zu sehen, dass alles lief. »Ach so, da fällt mir noch etwas ein«, wandte sie sich an Attila. »Gab es nicht noch irgendwelche Probleme mit der Security, weil Adonis …« Sie suchte nach Worten. »… nicht mehr da ist?«, schloss sie schließlich lahm.
»Nein. Für die Eröffnung habe ich externe Kräfte engagiert. Bloß der reguläre Betrieb ist auf Dauer für Daniel und mich zu viel. Derzeit unterstützen uns die Faune, aber das ist nicht ihr Job. Einen Normalsterblichen kann ich nicht einstellen. Menschen sollten besser nichts von uns wissen.«
»Ja, verstehe. Für mich zählt jetzt erst mal nur die Eröffnung.«
»Eben. Und da läuft alles nach Plan«, erklärte Sharai bestimmt. »Also keine Aufregung. Verrat mir lieber, ob Benita irgendwas über die Zerstörung des Avido Optatums herausgefunden hat.«
»Oh Mann!« Aurica schlug sich an die Stirn. »Das wollte ich euch ja noch erzählen, bevor einer der Vampire hier auftaucht. Diese blöde Eröffnung bringt mich ganz durcheinander. Zu deiner Frage: Sie hat tatsächlich etwas gefunden, aber dadurch könnten Unschuldige ihr Leben verlieren.«
Damit hatte sie die volle Aufmerksamkeit der beiden. Sie berichtete, was Benita herausgefunden hatte, und schloss mit den Worten: »Deshalb sollte keiner der beiden – am allerwenigsten jedoch Raoul – davon erfahren.«
»Also das ist ja mal ne Geschichte!«, ereiferte sich Sharai. »Da hat man die Lösung und hat sie doch nicht!«
»Nur womöglich eine Lösung«, schwächte Aurica die Aussage ab. »Benita meinte, dass sie für diesen Zauber keine Hand ins Feuer legen würde. Also ein doppelter Grund, keine Unschuldigen zu gefährden.«
Plötzlich stöhnte Attila auf und massierte seine Nasenwurzel mit zwei Fingern. »Ich hasse es, wenn es windstill ist!«, fluchte er. »Wie lange stehst du schon da, Vampir?«
Nur wenige Sekunden später trat Raoul durch die Tür. Ein heißer Schreck durchfuhr Aurica. Wenn es jemanden gab, der diese Unterhaltung nicht hätte mitbekommen sollen, dann war das Raoul! Was machte er überhaupt schon hier? Hatte er nicht erst am Nachmittag herkommen wollen?
»Eine schöne Security habt ihr hier«, stichelte der schwarzhaarige Vampir, während er mit der Eleganz einer Raubkatze auf sie zu schlenderte.
»Seit wann hört man einen Blutsauger, der nicht gehört werden will?«, gab Attila zurück, wobei sich eine steile Falte zwischen seinen Brauen bildete. »Wo ist dein Auto?«
»Ich hatte Lust, mir an diesem schönen Morgen ein wenig die Füße zu vertreten.«
»Und wo ist Mathilda?«, wollte Aurica wissen.
»Sie hat das Busfahren für sich entdeckt und ist ganz begeistert davon.« Er rümpfte die Nase. »Wobei sie eine der wenigen sein dürfte. Verblüffend, wie rasch sich Mathilda in der modernen Welt einlebt.«
»Zurück zum Thema«, knurrte der Werwolf. »Wie lange hast du uns belauscht?«
»Ts.« Der Vampir schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Wer wird denn gleich von belauschen sprechen! Ich habe lediglich ein wenig im Windschatten verharrt, als ich bemerkte, wie überaus interessant euer Thema war.«
»Erspar uns diese Haarspaltereien«, raunzte Attila ungehalten.
»Na schön. Ich denke, ich kann ein paar der fehlenden Informationen beisteuern.« Raoul gestattete sich ein nur leicht diabolisches, dafür aber schwer selbstgefälliges Grinsen, während er sich einen Stuhl heranzog und sich verkehrt herum darauf niederließ. »Zunächst einmal bezweifle ich, dass diese Straße im Industriegebiet für den Zauber geeignet ist. Soweit ich mich erinnere, habe ich die Männer in ein paar Metern Abstand voneinander getötet. Das dürfte zu weit entfernt sein.«
Bei der Selbstverständlichkeit, mit der er vom Töten sprach, unterdrückte Aurica nur mit Mühe ein Schaudern, was Raoul natürlich bemerkte. Die Art, wie er sie anschaute, ließ erahnen, dass er seine nächsten Worte daher besonders genoss: »Aber wie es der Zufall will, kenne ich einen Ort, der die gewünschten Anforderungen bestens erfüllen sollte.«
Will ich wirklich mehr darüber wissen?, fragte sich Aurica, während sich ihr Herzschlag auf unangenehme Art erhöhte. Obwohl ihr bewusst war, dass sie gleich etwas sehr Übles hören würde, konnte sie nicht weghören, im Gegenteil. Sie fieberte geradezu auf seine nächsten Worte hin.
»Es gibt einen Ort im Wald, in der Nähe der Werewolves Bar, an dem zwei äußerst degoutanten Spitzbuben an ein und derselben Stelle durch eigene Schuld das Leben abhandengekommen ist. Das dürfte keine zwei Wochen her sein, wenn ich mich recht entsinne.«
Übelkeit stieg in Aurica auf. Die Frage, die ihr auf der Zunge brannte, wagte sie jedoch nicht zu stellen. Zumal sie ihre ganze Konzentration darauf verwenden musste, nicht vor ihm zurückzuweichen.
Doch Sharai hatte deutlich weniger Bedenken. »Und das weißt du so genau, weil?«
Raoul schenkte ihr ein entwaffnendes Lächeln. »Ich sie persönlich und mit Genuss getötet habe.«
---ENDE DER LESEPROBE---